Gerichtsverfahren am Pranger

Dr. Bacher fürs Gericht nicht zählte. Foto: VN/Hofmeister
Weil ein Gutachter dem anderen völlig widerspricht, verliert Karin B. Mutter und Vermögen.
Wolfurt. Der Akt ist vollzogen, Fakten geschaffen. Seit dem 23. Dezember 2014 dürfen sich drei von vier Geschwistern einer bekannten Familie aus dem Oberland über einen stattlichen Zuwachs ihres Vermögens freuen. Sie wurden mit Grundstücken von insgesamt über 2000 Quadratmeter und einem Wohnhaus bedacht. Geschenkt von ihrer Mutter. Nur eines der vier Kinder, Karin B. (61), die als Einzige im Unterland wohnt, ging leer aus. Das bemerkenswerte daran: In einem medizinischen Gutachten wird Frau S. vor ihrem Schenkungsakt als dement eingestuft, während der vom Bezirksgericht Feldkirch beauftragter Gutacher das Gegenteil feststellte.
Das Attest
Karin B. erhebt schwere Vorwürfe nicht nur gegen ihre Geschwister, mit denen sie, wie auch mit ihrer Mutter, bis zum Schenkungsakt laut eigener Auskunft bestes Einvernehmen hatte. Die Vorwürfe und das Unverständnis richten sich auch gegen den Gerichtsgutachter und das Bezirksgericht Feldkirch.
Eindeutig ist das Gutachten des jetzigen Chefarztes vom LKH Rankweil, Dr. Reinhard Bacher, vom 16. September 2014 (siehe Faksimile). Er untersuchte Frau S. In seinem als „Nervenfachärztliche Stellungnahme“ gekennzeichneten Attest stellte der Facharzt „bereits mittelgradige Alzheimerdemenz“ fest und weist darauf hin, dass „eine gerichtliche Sachwalterschaft aus fachärztlicher Sicht unumgänglich ist“. Einleitend erwähnt der Psychiater, dass er mit den vier Kindern der Patientin ein eingehendes Familiengespräch geführt habe.
Gemeinsam Antrag ausgefüllt
„Es war allen klar“, sagt Karin B., „dass Mama große Probleme mit Orientierung und dem Erfassen einfacher Zusammenhänge hatte.“ Abgezeichnet habe sich das bereits im Juni 2014, als Karin B.s Geschwister die Einlieferung der Mutter ins Krankenhaus veranlassten. Eine den VN vorliegende schriftliche psychiatrische Einschätzung von Dr. Lukas Sausgruber und Prim. Dr. Albert Lingg ergab schon damals Symptome von geistigen Störungen. Wortwörtlich heißt es auch in diesem Untersuchungsbefund: „Eine Sachwalterschaft, insbesondere finanzieller Natur, wäre anzudenken.“
Das veranlasste einen der zwei Brüder Karin B.s gemeinsam mit Karin B. am 18. Juli 2014 den Krankenpflegeverein Jagdberg aufzusuchen und dort im Rahmen eines Case-Managements einen Antrag auf Besachwalterung auszufüllen. „Es bestand für mich kein Zweifel daran, dass hier zwei Geschwister in bestem Einverständnis diesen Schritt setzten“, gab die den Vorgang begleitende Mitarbeiterin gegenüber den VN an. Den Antrag nahm schließlich der Bruder mit. „Ich habe ihn aber nie unterschrieben. Schließlich ging es damals nur um Maßnahmen im Sinne einer Abklärung“, sagt S. zweieinhalb Jahre später.
Die Wende
Wenige Wochen nach dem am 13. November desselben Jahres am Bezirksgericht Feldkirch eingelangten Attest von Dr. Bacher nimmt die Sache eine für Karin B. völlig unverständliche und negative Wende. Sie, die laut eigenen Angaben regelmäßig bei ihrer Mutter im Oberland war und sich um diese kümmerte, wurde kurz vor Weihnachten überrascht. „Ich bekam die Nachricht von den Schenkungsverträgen, die meine Mutter gemacht haben soll. Vom Gericht gab’s nie eine Nachricht über das Sachwalterschaftsverfahren und ob meine Mutter besachwaltert wird. Der zuständige Richter Reinhard Hutter, von den VN befragt, beruft sich auf seine Schweigepflicht. Karin B. hatte im Verfahren keine Parteistellung und erhielt daher auch keine Informationen. Sie stellt sich Fragen. „Wie ist es möglich, dass wenige Wochen nach dem eindeutigen Attest von Dr. Bacher meine Mutter Schenkungsverträge unterzeichnen konnte? Warum hätte sie mich, zu der sie ein herzliches Verhältnis hatte, dabei nicht berücksichtigen sollen?“ Bemerkenswert: Karin B. durfte ihre Mutter nach Ausfertigung der Schenkungsverträge, deren Abwicklung Rechtsanwalt Dr. Anton Tschann juristisch begleitete, nicht mehr sehen. Begründung: Sie würde die Mutter bedrängen und wolle sie unter allen Umständen besachwaltern.
Dr. Tschann stellt die Dinge aus Sicht der Geschwister von Karin B. dar. „Es gab ein gerichtliches Gutachten von Dr. Othmar Mäser, welches ein anderes Ergebnis als jenes von Dr. Bacher zutage förderte. Eine Besachwalterung war nicht notwendig. Die betagte Frau war bei mir, als sie die Schenkungsverträge unterbreitete. Sie machte einen klaren Eindruck. Offensichtlich haben das auch zwei Richter und zwei Notare, die mit der Sache zu tun hatten, so gesehen.“
Dass sich ein namhafter Psychiater wie Dr. Bacher mit einer so unmissverständlichen Diagnose wie im Fall der Frau S. fundamental irrt, findet ein anderer namhafter Psychiater, dem die VN das Attest zeigten, unwahrscheinlich. „Es kann zu luciden Intervallen kommen, aber dass dies in einem solchen Ausmaß geschieht, dass eine Person juristische Sachverhalte umfassend wahrnehmen kann, ist schwer vorstellbar.“
Karin B. hat sich mit ihrem materiellen Verlust mehr oder weniger abgefunden. Nicht aber mit dem menschlichen. „Ich will endlich wieder meine Mama sehen.“
