„Ich reiche den Frauen die Hand“

Der Nachfolger des umstrittenen Ömer Kutlucan ist um Verständigung bemüht.
Lustenau. Vor gut einem halben Jahr gab es heftige Diskussionen um den islamischen Religionslehrer Ömer Kutlucan, der sich weigerte, Frauen die Hand zu geben. Er verabschiedete sich später aus dem Schuldienst. Offizielle Begründung: Er wolle ein Studium beginnen. Sein Nachfolger Selim Kavas will das Verhalten seines Vorgängers zwar nicht kritisieren, bemüht sich seinerseits jedoch um ein aktives Miteinander von Schülern islamischen Glaubens und Andersgläubigen. Kavas möchte sich grundsätzlich an die Richtlinien der Islamischen Glaubensgemeinschaft, seiner vorgesetzten Institution, halten.
Wie sind Sie als Nachfolger Ihres umstrittenen Vorgängers in der Funktion des islamischen Religionslehrers für höhere Schulen aufgenommen worden?
Kavas: Ich möchte vorausschicken: Es war nicht leicht für mich, und ich finde es bedauerlich, was mein Vorgänger erlebt hat. Dementsprechend groß war für mich die Herausforderung. Aber ich kann sagen, dass ich sehr gut aufgenommen wurde.
Wie haben Sie die ganze Sache damals erlebt?
Kavas: Ich möchte mich dazu nicht äußern. Die Sache ist erledigt, die Islamische Glaubensgemeinschaft hat dazu eine Stellungnahme abgegeben. Da gibt es für mich nichts mehr zu sagen.
An wie vielen Schulen unterrichten Sie?
Kavas: Ich bin an insgesamt acht Schulen beschäftigt und unterrichte 26 Stunden. Meine Schulen sind die HLW Marienberg, Sacré Coeur Riedenburg, die HTL Bregenz, die HAK Bregenz, das BG Gallusstraße, das BG Lauterach, das BG Lustenau und die HAK Lustenau. Ich hoffe, dass ich im kommenden Schuljahr weniger unterrichten muss und entlastet werde.
Was kann Religionsunterricht, egal welcher Glaubensrichtung, zum Zusammenhalt einer Gesellschaft beitragen?
Kavas: Wodurch soll eine gute Gesellschaft geprägt sein? Ich meine durch Liebe und Toleranz. Damit kann eine Gesellschaft so wachsen, dass wir uns weniger durch ‚Wir und die anderen‘ definieren, sondern durch ein echtes ‚Wir‘. Dazu möchte ich in meinem Unterricht beitragen.
Was hat Sie bewogen, Religionslehrer zu werden?
Kavas: Ich liebe es, den Menschen zu helfen. Ich wuchs als Kurde in einem kleinen Dorf in der Türkei auf. Damals habe ich einen Lehrer erlebt, der sich sehr angestrengt hat, uns etwas beizubringen. Ich habe sein Engagement bewundert und wollte dann auch Lehrer werden. Ich habe ein islamisches Gymnasium besucht und an der Universität studiert. Ich arbeitete auch als Vorbeter und kam 2002 nach Österreich. Dort war ich zuerst in einem türkischen Geschäft und danach auf dem Bau tätig. Als ich kam, konnte ich ja kein Wort Deutsch. Ab 2006 habe ich begonnen, als islamischer Religionslehrer in Volksschulen zu arbeiten. Jetzt bin ich an höheren Schulen in dieser Funktion tätig. Später habe ich am Institut für Islamische Religionspädagogik studiert. Derzeit bin ich mit der Bachelor-Arbeit beschäftigt, möchte später den Master und den Doktor machen. Ich bin auch als Seelsorger tätig, unter anderem in Gefängnissen.
Jetzt haben Sie die Nachfolge jenes Kollegen angetreten, der sich aus religiösen Gründen weigerte, Frauen die Hand zu geben. Ist für Sie eine solche Verhaltensweise in unserer westlichen Gesellschaft akzeptabel?
Kavas: Es gibt in der Religion keinen Zwang. Auch nicht jenen, jemandem die Hand zu geben. Ich reiche Frauen die Hand. Diese Entscheidung liegt bei jedem selbst. Im Islam sind Frauen und Männer gleichberechtigt.
Was halten Sie vom neuen Islamgesetz? Dieses verlangt unter anderem, dass islamische Religionslehrer in Österreich ausgebildet werden müssen und dass das Gesetz vor die Religionsausübung zu stellen ist.
Kavas: Grundsätzlich bewerte ich das neue Islamgesetz positiv. Das alte ging ja auf das Jahr 1912 zurück und das neue wurde jetzt angepasst. Ich befürworte auch, dass islamische Religionslehrer hier ausgebildet und bezahlt werden und in der Landessprache unterrichtet wird. Wir leben ja in Österreich. Der Islam und das Grundgesetz stehen nicht im Widerspruch. Die Inhalte der islamischen Religion stehen im Einklang mit staatlichen Gesetzen.
Aber wenn es zum Beispiel Schulgesetze gibt, die den gemeinsamen Turn- oder Schwimmunterricht von Mädchen und Buben erlauben, stellen sich Moslems bisweilen dagegen. Finden Sie das okay?
Kavas: Der Staat garantiert die Religionsfreiheit.
Aber der Staat stellt auch Regeln auf, die vielleicht nicht im Einklang mit allen religiösen Regeln stehen.
Kavas: Trotzdem widersprechen sich die Prinzipien beider Autoritäten nicht. Ich würde mich diesbezüglich an die Auslegung der Islamischen Glaubensgemeinschaft halten. An die oder die zuständigen islamischen Schulautoritäten sollte man sich bei diesen Fragen wenden.
Auch wenn die Regeln der Schule klar sind?
Kavas: Ich glaube, die Lehrerinnen und Lehrer sind in der Lage, die richtigen Entscheidungen zu treffen. In der Mittelschule ist der Sportunterricht ohnehin getrennt. Und in der Volksschule ist ein gemeinsamer Sportunterricht von Buben und Mädchen sowieso kein Problem.
Wie ist Ihr Kontakt zu Angehörigen anderer Religionen?
Kavas: Ich habe einen sehr guten Kontakt mit vielen Menschen, die nicht islamischen Glaubens sind. Ich habe bereits Klassen in die Moschee eingeladen, ich bin beteiligt an interreligiösen Projekten. Da gibt es zum Beispiel das Arche-Noah-Projekt in einer Hohenemser Volksschule oder das Friedensfest mit interreligiösem und interkulturellem Charakter an einer höheren Schule.
Der Islam erscheint vielen Nicht-Moslems als streng, wenig fröhlich und kaum lebensfreudig. Sind Sie ein fröhlicher Mensch, der auch gerne lacht?
Kavas: Ich bin ein fröhlicher Mensch, vor allem dann, wenn ich die strahlenden Augen von Kindern in der Schule sehe. Ich erzähle auch Witze. Und wenn ich meine Schüler zu einem Feedback über meinen Unterricht bitte, dann schreiben sie oft, dass sie es mögen, wenn ich sie zum Lachen bringe. Im Islam gilt das Lachen als eine Spende.
Der Islam steht in unserer Zeit leider auch immer wieder für Terror und Anschläge. Wie sehr leiden Sie darunter?
Kavas: Es gibt keinen islamischen Gelehrten in der Welt, der diese schrecklichen Taten von Terrororganisationen wie dem IS auch nur im geringsten gutheißt. Ganz im Gegenteil. Islam und Gewalt passen nicht zusammen. Moslems leiden am meisten darunter, wenn solche Terrorakte im Namen des Islam verübt werden.
Jetzt gibt es einen US-Präsidenten namens Donald Trump, der Moslems unter Terror-Generalverdacht stellt. Wie geht es Ihnen damit?
Kavas: Ich kann da nur den Propheten zitieren, der uns sagt, dass wir alle von Adam abstammen, und Adam wurde aus Erde geschaffen. Man sieht mittlerweile auch, wie sich die Menschen gegen diese Diskriminierung auflehnen und auf den Straßen protestieren.
Wie sähe aus Ihrer Sicht nach Ende dieses Schuljahres eine positive Bilanz aus?
Kavas: Wenn es mir gelungen sein sollte, mehr Menschen zum Reden miteinander als übereinander zu bringen, wäre ich sehr zufrieden.
Ich bin ein fröhlicher Mensch, der auch gerne Witze erzählt.
Selim Kavas
Zur Person
Selim Kavas (34)
Der gebürtige Kurde ist seit 2002 in Österreich und arbeitete zuerst in einem türkischen Geschäft sowie am Bau. Seit 2006 ist er als Islamlehrer tätig. Er hat ein einschlägiges Studium in der Türkei absolviert und studiert parallel zu seiner Lehrtätigkeit derzeit am Institut für Islamische Religionspädagogik in Wien. Selim Kavas ist verheiratet und hat drei Kinder.