Ein kostbarer Versuch
„Das ist mir zu primitiv“, sagte der alte Mann, der ehemals eine wichtige Position eingenommen hatte. „Einfach Karten aufeinander abzustimmen, ein Memory sozusagen, ich bin doch kein Kind.“ Die Betreuer überlegten und gaben dem dementen Greis einen Stapel Papier und einen Stempel. Daraufhin setzte sich der alte Mann in Position und stempelte mit wichtiger Miene die leeren Blätter. Er kam sich sehr nützlich vor.
Ähnliches geschah mit anderen dementen Menschen, jedem auf seine Art wurde eine Arbeit zugeteilt, die ihn wertvoll machte.
Eine Greisin stand in der Großküche vor einem leeren Topf und rührte darin, ihr zur Seite dampfte echte Suppe und eine Köchin hantierte. „Riecht gut, dein Eintopf“, sagte die Köchin. „Was nimmst du für Zutaten?“
„Ich habe Zucker“, sagte die Frau, „weil er süß ist.“
In einem Büro wurde telefoniert, und an einem kleinen Tischchen saß eine alte Frau. Sie hatte den Hörer eines alten Telefons am Ohr und nickte bedeutungsvoll, manchmal sagte sie: „Da muss ich nachschauen.“ Oder: „Das glaube ich nicht.“ Oder: „Ich werde es melden, guten Tag!“
„Eine andere Frau zog einen Wagen mit frischen Blumen und schaute in die Krankenzimmer.“
Ein alter Mann spazierte mit einer Liste und einem Stift, den er hinter sein Ohr geklemmt hatte, in ein Büro und nahm Bestellungen auf: „Ein Apfel für die Dame, Gurke für die kleine Dame, Wurst für den Herrn Chef, Bananen für den kleinen Chef.“ Gewissenhaft zog er den Stift und schrieb langsam und mit großen Buchstaben. So ging er von Büro zu Büro. Er legte die Liste einer Frau vor, und die schichtete in eine Schachtel die gewünschten Bestellungen. Am Nachmittag verteilte er. Er kam sich sehr wichtig vor und lächelte in den Tag hinein.
Seine Freundin, eine ebenfalls demente Frau, beneidete den Mann um seine Tätigkeit, und so gab man auch ihr eine ähnliche Arbeit im zweiten Stock. Sie war manchmal fehlerhaft, ihre Schrift zittrig, aber auch sie fühlte sich nützlich und war zufrieden.
Als der Freund von ihrer Tätigkeit erfuhr, wurde er traurig und voller Neid, und er reklamierte und sagte, das gefalle ihm gar nicht, schließlich sei er dazu auserwählt. Die Arbeit der Frau wurde abgeändert, so dass ihr Freund wieder zufrieden sein konnte.
Eine andere Frau zog einen Wagen mit frischen Blumen und schaute in die Krankenzimmer. Sie war die Hüterin der Blumenvasen. Sie nahm die welken Blumen, steckte sie in den Biomüll, wusch die Vasen aus und verteilte neue Blumen, wobei sie sehr geschickt und einfühlsam vorging. Sie schaute die Patienten an, und was zu ihnen passte, verteilte sie. In den Männerzimmern beschränkte sie sich auf blühende Zweige, sie fand, Blumen passten dort nicht.
Das alles geschah in einem großen Haus, die Tätigkeiten waren von klugen Menschen ausgedacht worden, denen das Wohl der alten Menschen am Herzen lag.
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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