Doris Knecht

Kommentar

Doris Knecht

Das große Rechtslinksrechts

Vorarlberg / 18.06.2019 • 06:59 Uhr

Die Lesetour führt mich durch ganz Österreich, ich fahre mit Zügen durch die Lande und lerne wunderbare Gegenden und Leute kennen, andere Gepflogenheiten, interessante Dialekte. Ich lerne: Man duzt sich über 1000 Metern und in ganz Vorarlberg. Das hatte ich schon fast vergessen. Ich erinnere mich, wie ich das nach ein paar Jahren in Wien irritierend fand, als ich einmal in Vorarlberg auf die Bank ging und der ältere Bankmitarbeiter mich duzte. Ich dachte, he, der redet mit mir wie ein Lehrer mit einer Schülerin! Es dauerte, bis mir wieder klar wurde, dass sich alle duzen. Dass es normal ist. Dass ich, weil ich jetzt auch erwachsen bin, zurückduzen darf. Dass man sich überall duzt, grüaßdi, seawas, was bruchsch?

„Wenn man dem Gegenüber nicht so nah ist, erscheint mir ein herzhafter Händedruck geeignet.“

Und wenn ich jetzt, wie kürzlich, irgendwo im tiefsten Waldviertel eine gebürtige Vorarlbergerin kennenlerne, eine ältere Dame, die wie ich seit Jahrzehnten im Osten lebt: Dann ist es nicht nur klar, dass man sich ab der Sekunde des Vorgestelltwerdens im schönen, klingenden Herkunftsdialekt unterhält, man duzt sich auch auf der Stelle, Altersunterschied egal. Schön.

Woran ich mich dagegen nicht mehr gewöhnen werde und, glaube ich, auch nicht mehr gewöhnen will, ist dieses Dreifach-Bussi mit dem man sich in Vorarlberg und der Schweiz begrüßt: Luftbussi rechts, Luftbussi links, Luftbussi recht. Nichts für ungut, aber das finde ich ein wenig übertrieben: Erstens dauert es ewig, vor allem, wenn sich ein Dutzend Leute treffen. Zweitens ist es ein steter Quell gegenseitiger Peinlichkeit, wenn Nasen aneinanderstoßen und Brillengestelle sich ineinander verkeilen. Drittens fange ich irgendwie immer auf der falschen Seite an oder es ist zu viel Mund oder zu viel Wange und dann geniere ich mich, dass ich nicht einmal ein korrektes Begrüßungsbussi zustande bringe, und die Begegnung ist von Beginn an kontaminiert.

Zudem sind diese Wangenluftbussis, wenn nicht einer dem anderen tatsächlich fett den Mund auf die Backe setzt (was dann auch wieder merkwürdig zu viel erscheint), letztlich tatsächlich eine distanzierte, komplizierte und eher unherzliche Art, sich zu begrüßen. Man schaut aneinander vorbei. Ich weiß nicht, was Herr Knigge zu all dem sagen würde, aber: ich sehe es sehr gern, dass die jungen Menschen seit einiger Zeit dazu übergegangen sind, dieses Rechtslinks oder Linksrechts oder Rechtslinksrechts durch eine herzliche, gegenseitige Umarmung zu ersetzen, ein tatsächlich körperliches, warmes Drücken, ein echtes Annehmen der oder des Begrüßten. Und wenn man dem Gegenüber nicht so nah ist oder nah kommen will, erscheint mir ein herzhafter Händedruck geeignet. Mit Blickkontakt natürlich. Grüaßdi!

Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.