Unser Naturdenkmal
Es ist, als wollte ich eine Todesanzeige aufgeben. Nämlich für einen Baum, der viele Bäume war. Heute wurde er gefällt. Sechzig Jahre alt. Ein Riesenkran war bestellt worden, unser besonderer Gärtner, der zum Glück nur schneidet, was absolut notwendig ist, hat ihn geopfert. Wir standen am Fenster. Motorsägengeräusch war die Musik.
„Teile vom Stamm und Teile von Ästen liegen bereit. Unser Sohn will daraus Möbel bauen.“
Zehn Minuten Sturm und eine Zerstörung. Ein Zwetschkenbaum ist auch gefallen. Den hatten wir gepflanzt, als Lorenz geboren wurde. Für jedes unserer Kinder steht – stand ein Baum in unserem Garten.
Der Baum, den wir Naturdenkmal nannten, nennen, weil wir noch immer an ihn denken, und nie vergessen werden, war ursprünglich ein unveredelter Kirschbaum. Mein Mann hat ihn aus einem Kern gezogen als er ein Bub war. Rundum pflanzte ich Rosen, die sich in die Kirsche rankten, Efeu wuchs darin, Holunder, etliche Schlingpflanzen, stolz stand er da, gut fünfzehn Meter hoch.
Im Sommer, bei großer Hitze, saßen wir in seinem Schatten, aßen mit Gästen, lasen Romane, redeten über Kinder und Politik. Eine Unzahl von Fledermäusen tummelten sich im Geäst und in den Blättern, vielerlei Vögel zwitscherten. Wo sind die jetzt, für wen singen sie, für wen flattern sie und erzählen Gespenstergeschichten?
Die liebe Nachbarin wünschte uns Beileid, sie hatte den Baum auch gern gehabt.
Es gab Leute, die uns beglückwünschten – „endlich haben Sie dieses Unikum weg, das hat doch alles nur verstellt …“ Es gab andere Leute, die dachten wie wir und würden keine Bäume fällen. Man fällt heutzutage keine Bäume mehr, wenn es nicht notwendig ist. Nun hat sich die Not gewendet.
Wir haben keine Fotos gemacht, als der Baum so schwer verletzt worden war. Wir haben das alles in unserem Gedächtnis, so wie wir auch nie vergessen werden, wie es war, als er noch unseren Garten beschirmte. Warum sollte man von einem Sterbenden Fotos ins Internet stellen und dann, wenn er gestorben ist wieder, damit jeder es sehen und weiter verschicken kann?
Teile vom Stamm und Teile von Ästen liegen bereit. Unser Sohn will daraus Möbel bauen.
Wieder einmal haben wir unserem Gärtner und seinen Leuten zu danken, der nach den Aufräumarbeiten alles so schön gerichtet hat, als wär’s sein eigenes Wohnzimmer.
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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