Beinamputierter Mann: “Habe nie mit Schicksal gehadert”

Wolfram Mathis verlor als junger Mann bei einem Verkehrsunfall ein Bein.
Koblach In Sekundenbruchteilen wurde Wolfram Mathis (52) am 19. September 1984 zu einem Invaliden. Der 17-Jährige war am Abend mit seinem Kleinmotorrad unterwegs. Er fuhr von Altach in Richtung Hohenems. Eine Autofahrerin, die ein Stoppschild missachtete, wurde ihm zum Verhängnis. „Sie schoss mich ab. Der Crash war so heftig, dass ich 18 Meter durch die Luft flog.“ Wolfram bekam alles mit. Denn er blieb bei Bewusstsein. „Ich blutete stark. Das rechte Bein schmerzte heftig.“
Bein war zerfetzt
Das Bein war so zerfetzt, dass die Ärzte es nicht mehr retten konnten und es am Oberschenkel amputieren mussten. Für Wolfram war das „eine Nebensache“. Denn er kämpfte auf der Intensivstation ums Überleben. Zudem peinigten ihn starke Schmerzen. Eineinhalb Monate lang wurde das Unfallopfer im Krankenhaus Feldkirch behandelt. „Man musste mich drei Mal operieren.“ Dann wurde der junge Mann auf Reha geschickt. Im Reha-Zentrum lernte der Amputierte wieder gehen. „Mit Krücken zu gehen, strengte mich anfangs an.“ Nach einem halben Jahr kam er, nur auf einen Stock gestützt, wieder nach Hause. „Den Stock habe ich dann gleich weggeworfen.“
Im Reha-Zentrum hatte er Menschen kennengelernt, die vom Kopf abwärts gelähmt waren. Da dachte er sich: „Mir geht es eh nicht schlecht. Ich bin im Alltag kaum eingeschränkt und kann nach wie vor alles machen.“ Andere fallen in ein tiefes Loch, wenn sie zum Invaliden werden. Nicht so Wolfram. „Ich habe den Verlust meines Beines nicht als tragisch empfunden. Es kommt auf die Einstellung drauf an. Man sollte das, was man nicht ändern kann, akzeptieren und das Beste daraus machen.“ So jung er war: Er sah sofort ein, dass es keine andere Möglichkeit gab als das Handicap anzunehmen.
Nach dem Schicksalsschlag ging das Leben des jungen Hohenemsers wieder seinen gewohnten Gang. „Ich habe die Lehre zum Radio- und Fernsehtechniker beendet.“ Seine Behinderung stand ihm in seinem beruflichen Fortkommen nicht im Weg. Bei der Schweizer Firma Leica brachte er es bis zum Qualitätsmanager. Als solcher kommt er viel in der Welt herum. Auch privat fand er sein Glück. Drei Jahre nach seinem Unfall begab er sich zur Prothesen-Anpassung abermals ins Reha-Zentrum. Dort lernte er seine zukünftige Frau Michaela kennen. „Sie hatte nach einem Motorrradunfall mehrere Knochenbrüche.“ Der Ehe – sie ist seit Kurzem geschieden – entsprangen zwei Söhne.
“Für mich ist das Schicksal Nebensache. Mir ist wichtig, dass ich ein selbstständiges Leben führen kann.”
Wolfram Mathis
Seit dem Unfall achtet Wolfram besonders gut auf sich. „Man muss mehr tun, wenn man gehandicapt ist“, findet er. Um sich fit zu halten, geht er seit Jahren mehrmals wöchentlich ins Fitnesscenter. Auch Schwimmen und Skifahren mit Krückenskier stehen bei ihm auf dem Programm. „Das, was ich machen will, mache ich.“ Zehn Jahre lang war er außerdem im Versehrtensport aktiv. Er spielte Sitzball für Bregenz und wurde mit dem Verein sogar österreichischer Meister. Sein liebstes Hobby ist ihm aber heute das Bogenschießen. „Das mache ich fast jeden Tag. Ich habe vor zehn Jahren damit begonnen.“ Bei diesem Hobby kann er komplett abschalten.

Obwohl er manchmal Phantomschmerzen hat und sein Beinstumpf hin und wieder aufgrund von Überbeanspruchung wund ist, hat Wolfram noch nie mit seinem Schicksal gehadert. „Für mich ist das Schicksal Nebensache. Mir ist wichtig, dass ich ein selbstständiges Leben führen kann.“ Er hat auch noch nie darüber nachgedacht, wie sein Leben ohne Unfall und Beinamputation verlaufen wäre. „Es ist müßig, darüber zu spekulieren.“ Aber er ist überzeugt davon, dass ihn der Unfall verändert hat. „Ich bin dadurch reifer geworden und schätze vielleicht manche Sachen mehr als andere, zum Beispiel meine Gesundheit.“