Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Stellen Sie sich vor

Vorarlberg / 16.03.2020 • 10:00 Uhr

Ich möchte Sie auf eine kleine Zeitreise einladen. Stellen Sie sich vor, Corona wäre genau vor einem Jahr bei uns ausgebrochen. Damals war Beate Hartinger-Klein Gesundheitsministerin und Herbert Kickl Innenminister. Hartinger-Klein, die „Ministerin für Fettnäpfchen“ (© SN), und Kickl, der gerade vorgeschlagen hat, Flüchtlinge „natürlich“ auch mit Waffeneinsatz fernzuhalten. Wenn die beiden die Krise meistern müssten, bei dieser Vorstellung würde wohl auch FPÖ-Anhängern mulmig. Jetzt sind Rudolf Anschober und Karl Nehammer im Amt. Kolumnen wie diese sind normalerweise dazu da, der Politik auf den Zahn zu fühlen. Aber wenn jemand wie Anschober sachlich Entscheidungen trifft und das unaufgeregt vor den Medien verkündet, dann soll das auch beim Namen genannt werden. Das gilt auch für Nehammer, der in seinen ersten Fernseh-Interviews nervös gewirkt hat, aber jetzt auch unangenehme Botschaften kühl und klar vorträgt, ohne in Panikmache zu verfallen. Und der Kanzler, der Meister der Message Control und der Selbstinszenierung, zeigt Führungsstärke und plötzlich einen Hang zur Nüchternheit, den man sich auch nach der Corona-Krise bei ihm wünschen würde. Die Bild-Zeitung zum „Ösi-Kanzler“: „So einen brauchen wir auch“.

„Gerade bei Anschober macht sich positiv bemerkbar, dass er das politische Handwerk gelernt hat.“

Gerade bei Anschober macht sich positiv bemerkbar, dass er das politische Handwerk gelernt hat. 17 Jahre Landesrat, das macht ihn gerade in der aktuellen Krise einem Quereinsteiger überlegen. Denn auch gescheite Leute, die das Handwerk nicht gelernt haben, können in der Politik scheitern. Da kommt mir ein früherer SPÖ-Minister in den Sinn, Franz Kreuzer, den wir im ORF Sansi nannten. Ein Intellektueller, blitzgescheit, einer der besten Journalisten, die der ORF je hatte. Er war Mitte der Achtziger Jahre nur ein gutes Jahr lang Minister für Gesundheit und Umweltschutz. In seine Amtszeit fiel die Katastrophe von Tschernobyl, die er in seinen Auswirkungen gewaltig unterschätzt hat. Dementsprechend kurz war dann seine Polit-Karriere. Berufspolitiker oder Berufung als Politiker? Darüber ist sich die Fachwelt auch heute nicht einig. Der deutsche Soziologe Max Weber sprach sich vor 100 Jahren für den Berufspolitiker aus und forderte von ihm Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß für die Politik, die ein Bohren von harten Brettern sei.

Zu viel Information?

Informiert unsere Regierung zu viel über Corona, wie manche meinen? Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Der ORF verzeichnet für „Bundesland heute“ und die
„ZiB 1“-Rekordquoten von über 1,5 Millionen und Marktanteile jenseits der 50 Prozent (zum Vergleich: Jahresschnitt 2019 ORF-Fernsehen insgesamt 31,8 %). Das heißt: Das Informationsbedürfnis der Bevölkerung ist in diesen Tagen außerordentlich hoch, weil es viele Unsicherheitsfaktoren gibt und das eigene Leben betroffen sein kann.

Max Weber sagte auch, die größte Schwäche für einen Politiker sei die Eitelkeit, die ihn unsachlich und verantwortungslos erscheinen lasse. Gilt das nicht heute noch? Denken Sie nur an Donald Trump, dem die völlige Ignoranz gegenüber den Gefahren von Corona gepaart mit gewaltiger Führungsschwäche jetzt so deutlich um die Ohren fliegt, dass seine Wiederwahl plötzlich gar nicht mehr so klar zu sein scheint.

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.