Ostern findet trotzdem statt

Vorarlberg / 05.04.2020 • 07:00 Uhr
Ostern findet trotzdem statt
Das Buch der Pessach Haggadah birgt die Erzählung von der Befreiung Israels aus Ägypten. Sie wird jedes Jahr rituell in den Familien erzählt.

An einem ganz stillen Palmsonntag feiert die Hauskirche heuer ihre Wiedergeburt.

Schwarzach Der Palmsonntag eröffnet die Karwoche. In jedem anderen Jahr würde Bischof Benno vor eine fröhliche Kirchengemeinde treten. Die festlichen Palmbuschen wankten auf hohen Stecken im Wind. Kinderhände umklammerten fest die ersten selber gebundenen Zweige.

Fest der Nähe

Palmsonntag ist ein Fest der Nähe, vielleicht der bestbesuchte Gottesdienst im Jahr. Aber nicht 2020. Heuer bleiben die Kirchen leer. Gottesdienste werden im allerkleinsten Rahmen vollzogen und im Radio, Fernsehen und Internet übertragen. Anders geht es nicht. Der Virus lässt keinen Spielraum. „Heuer stehen wir in einer Karfreitagssituation“, sagt Elbs. „Als Gesellschaft, aber auch persönlich, wenn Menschen krank sind, sterben. Deshalb ist es heuer wichtiger denn je, Ostern zu feiern.“ Der Bischof sitzt selber im Homeoffice in Langen bei Bregenz.
„Die Karwoche“, das ist für ihn „wie eine Intensivstation des menschlichen Weges.“ Das heurige Osterfest wird existenziell, da herrscht kein Zweifel. „Dieses Mal denken wir nicht theoretisch über Glaubensfragen nach, dieses Mal erfahren wir die Not selber. Dieses Ostern betrifft uns alle im Innersten.“

Leben retten durch Distanz

Was für eine Zeitenwende! Auf einmal kann Distanz Leben retten. „Auch ich hab mich anfangs schwergetan damit.“ Zählt doch die Nähe zum Grundauftrag der Kirche. „Jetzt drücke ich Wertschätzung aus, indem ich Abstand halte.“ Die Pandemie hat die üblichen Umarmungen, Handschläge, die Wangenküsse, all das verbannt. „Wir waren gezwungen, andere Gesten zu finden.“ Aus fernen Kulturen die indische Verneigung, aus alten Tagen den freundlichen Blick. „Dabei haben wir einen wahren Schatz an Kommunikationsformen wiederentdeckt, der uns nicht mehr bewusst war“, staunt der Bischof. Dazu zählen auch Menschen, die zwei, drei Meter voneinander entfernt stehenbleiben. Das ist nicht nur befremdlich. Die Distanz erweitert ihr Blickfeld. So nimmt man den anderen jetzt als Ganzes wahr. Zu nahe wäre vereinnahmend. So ist es achtsamer.

Ostern findet trotzdem statt
Für Bischof Benno Elbs bietet das Osterfest 2020 Gelegenheit, sich der eigenen Ressourcen zu erinnern.

Ostern 2020, das wird auch die Renaissance der Hauskirche. Schließlich war das die ursprüngliche Form der ersten Christen. In der Verfolgung haben sie in ihren Häusern gefeiert – leise, bedeckt, im Schutz der Dunkelheit. Sehr intim. Sie haben ersten Ausdrucksformen ihrer Feiern wohl jenen Ritualen entlehnt, die es schon gab im Haushalt: Wie man isst, wann und wie man aufsteht, was man am Morgen tut, wie man Geburtstag feiert …

Das könnte auch ein Ansatz sein für den ganz privaten Palmsonntag 2020. Die Rituale des Alltags neu entdecken. Kleine Gesten setzen: Auf einem Spaziergang Palmzweige suchen, denn „sie sind ein Segenszeichen“. Grad so wie der Schriftzug, den die Heiligen drei Könige am Türstock hinterlassen. Palmzweige, das wissen die Älteren noch, wurden früher angezündet, wenn draußen ein Gewitter tobte. Es können auch Thujen sein. Sie mit einer bunten Schleife schön zusammenbinden, das gehört zum Palmsonntag wie das Evangelium, das den Einzug Jesu in Jerusalem zum Thema hat. Matthäus hat das am Beginn des 21. Kapitels seines Evangeliums erzählt.

Den Segen sprechen

Der ganze Text dieses Sonntages wäre noch viel länger. Er berichtet die ganze Leidensgeschichte des Jesus von Nazareth, „die man in einer Familie sogar in verteilten Rollen lesen könnte“, erinnert Elbs an die Gottesdienste. Danach den Palmbuschen in die Mitte des Tisches legen und ein Segensgebet sprechen, denn „segnen darf jeder Christ“. So eine kleine Feier des Palmsonntages, die vielleicht eine Taufkerze oder Erstkommunionskerze erhellt hat, ließe sich mit dem Vaterunser beschließen.

Die kleine Gemeinschaft hätte dann im Grunde das getan, was Menschen jüdischen Glaubens seit je her tun. Sie kommen zusammen am Passahfest und erzählen sich im Familienkreis feierlich, wie Gott sie einst befreit hat. „Was gibt dem Volk Israel das Vertrauen, dass Gott seinen Bund hält? Das ist die gemeinsame Erinnerung“, erzählt Benno Elbs, „Gott ist so lange mit uns gegangen, er wird auch jetzt bei uns sein.“

Ostern findet trotzdem statt
Einen Palmbuschen binden gehört zum Fest. Pfarre Schwarzach / A.Ponticelli, TM

Die Juden erzählen einander in dieser einen, besonderen Nacht, die zu unserem Osterfest wurde, von der Errettung ihres Volkes aus der ägyptischen Sklaverei. „Wir könnten uns heute ja wieder der Leidensgeschichte Jesu erinnern, die in die Zusage des Lebens mündet“, empfiehlt Bischof Benno. Und mehr noch: „Wir könnten uns fragen: Wo wurde ich schon einmal geführt und getragen in meinem Leben? Was waren wertvolle Ressourcen für die Bewältigung von Krisen?“ Das spiegelt die Tiefe der Seele wider. „Und sich der Ressourcen zu erinnern, die mir einmal geholfen haben, durch ein Tal der Tränen zu gehen, das kann jetzt sehr wertvoll sein.“
Den Namen Gottes – Jahwe – hat der Religionsphilosoph Martin Buber mit „Ich bin dort, wo Du bist“ übersetzt. „Das ist das Grundvertrauen, welches das Volk Israel trägt.“ Darauf baut auch die ganze Karwoche auf. „Gott geht letztendlich alle schönen Wege und alle Kreuzwege mit den Menschen mit.“ In dieser Überzeugung fällt bis zum heutigen Tag nach Jahrhunderten der Verfolgung und der versuchten Ausrottung noch immer wie zum Trotz in fröhlichen Runden der hebräische Trinkspruch: „L‘chaim! – Auf das Leben!“