Der sinnlose Tod des Bruno Piffer (15)

Vorarlberg / 14.05.2020 • 08:00 Uhr
Der sinnlose Tod des Bruno Piffer (15)
Familie Piffer (v.l.n.r.) im Jahr 1942: Hermine, ihre mit Oskar schwangere Mutter Paula, Vater Quirin, Bruno und Rita, die ein Jahr nach dem Tod ihrer zweijährigen Schwester Rita zur Welt kam.

Bruno Piffer starb am 18. Mai 1945 einen sinnlosen Tod. Ein Besatzungssoldat spielte mit einer Waffe und erschoss den 15-jährigen Lehrling versehentlich.

Dornbirn Der Schuss traf den Jugendlichen in die Halsschlagader. Der 15-jährige Installateur-Lehrling konnte nicht mehr gerettet werden. Bruno verblutete. Noch Monate danach war sein Tod ein Gesprächsthema in der Stadt. Brunos Tod am 18. Mai 1945 beim Zollamt in Dornbirn war sinnlos. Ein französischer Besatzungssoldat spielte mit einem Gewehr. Er dachte, dass das Magazin leer sei. Doch es war noch eine Kugel im Lauf. Der junge Soldat wollte einer Gruppe von Burschen Angst einjagen und zielte mit der Waffe auf sie. Er drückte auf den Abzug. Ein Schuss löste sich, die Kugel traf Bruno. Der Bub war das Kind von Paula und Quirin Piffer. Mit Bruno verlor das Ehepaar abermals ein Kind. Bereits im Jahr 1927 mussten die Eltern ein Kind zu Grabe tragen. Die zweijährige Rita war in eine Jauchegrube gefallen und ertrunken.

Bruno Piffer wurde nur 15 Jahre alt.
Bruno Piffer wurde nur 15 Jahre alt.

Die Besatzungsmacht wollte den Soldaten zur Verantwortung ziehen. „Er sollte nach militärischem Recht erschossen werden. Dazu brauchte es die Einwilligung meiner Eltern. Doch meine Mutter verweigerte diese. Sie sagte: ,Es reicht, wenn eine Mutter um ihr Kind weint‘“, erzählt Oskar Piffer (77), das jüngste Kind der Südtiroler Auswandererfamilie, das 1943 in Dornbirn zur Welt kam.

Das Ehepaar Paula und Quirin Piffer.
Das Ehepaar Paula und Quirin Piffer.

Brunos Vater Quirin war in einem Kriegslazarett, als das Unglück passierte. Quirin, ein Bauer aus Südtirol, hatte 1941 im Zuge der Option seine Heimat verlassen und sich in Dornbirn niedergelassen. 1942 ließ Quirin seine Frau Paula und seine drei Kinder nachkommen. Der Familienvater verdiente seinen Lebensunterhalt als Schweißer in einem Rüstungsbetrieb in Dornbirn. Dort arbeiteten auch russische Kriegsgefangene. „Diese litten an Hunger, weil man ihnen nur wenig zu essen gab“, weiß Oskar aus den Erzählungen seines Vaters. Quirin hatte Mitleid mit den Kriegsgefangenen. Er steckte ihnen heimlich Brot zu. „Ein Aufseher bekam das mit und verwarnte meinen Vater. Doch Papa gab den Russen weiterhin Brot.“ Nach der dritten Verwarnung musste Quirin zur Strafe einrücken. „Mein Vater war in Russland und wurde 1945 verwundet. Ihm musste der rechte Unterschenkel amputiert werden.“

“Mama erlitt einen Nervenzusammenbruch, als man ihr sagte, dass man Bruno erschossen habe.”

Oskar Piffer, der jüngste Sohn der Piffers

Im Juli 1945 kam der Invalide aus dem Krieg zurück. „Meine Schwester sah ihn mit Krücken die Straße heraufkommen. Hermine lief ihm entgegen, umarmte ihn und weinte. Daraufhin meinte unser Vater: ,Du musst doch nicht weinen, nur wegen dem Fuß.‘ Sie erzählte ihm dann, dass Bruno tot ist.“ Diese Schreckensnachricht schmetterte Quirin so nieder, dass seine Tochter ihn stützen musste. Brunos Tod traf auch die Mutter schwer. „Als man ihr sagte, dass Bruno hinter dem Haus erschossen wurde, brach sie zusammen. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch.“

Der Verlust zweier Kinder blieb nicht ohne Folgen für die Familie, vor allem Oskar, das jüngste Kind, bekam sie zu spüren. „Mama war unglaublich ängstlich und immer besorgt. Sie setzte alles daran, um mich zu beschützen. Ich durfte weder in ein Ferienlager noch zu den Pfadfindern.  Eigentlich bin ich unter einer Glasglocke aufgewachsen. Bis zu ihrem Lebensende war Mama eine Glucke.“  

Paula starb 1988 mit 83 Jahren. Sie wurde in ihrem Lieblingskostüm beerdigt. In dessen Seitentasche steckte Sohn Oskar jenes Taschentuch, das sein verstorbener Bruder Bruno in der Hosentasche trug, als er verstarb. „Dieses Sacktuch war meiner Mutter heilig. Sie hat zeitlebens darauf geschlafen. Brunos Taschentuch, das sie regelmäßig wusch und bügelte, lag bis an ihr Lebensende unter ihrem Kopfkissen. Deshalb haben wir es Mama mit in den Sarg gegeben.“

Manchmal kann einem der Tod einiges ersparen. Paula musste nicht mehr den Tod ihres dritten Kindes miterleben. Ihre Tochter Hermine warf sich 1994 vor den Zug. Sie hatte an Depressionen gelitten. Vater Quirin, der 93 Jahre alt wurde, musste jedoch damit fertig werden. Nach Hermines Tod sagte er zu Oskar: „Kann denn kein Kind von mir normal im Bett sterben?“

Oskar Piffer erzählte den VN die tragische Geschichte seiner Familie.
Oskar Piffer erzählte den VN die tragische Geschichte seiner Familie.