Reinhard Haller

Kommentar

Reinhard Haller

Verschwörungsängste

Vorarlberg / 27.05.2020 • 15:30 Uhr

Sogenannte Verschwörungstheorien stehen seit dem großen Schock einmal mehr hoch im Kurs. Aktuell zentrieren sie sich inhaltlich auf die Coronapandemie, auf die „wahren Ursachen“ und die hinter der Seuche steckenden Geheimzirkel. Das Virus sei in einem Genlabor als biologische Waffe geschaffen, von einem Komplott zur Dezimierung der Weltbevölkerung verbreitet und als Angstphantom zur Unterwerfung der Gesellschaft eingesetzt worden. Bill Gates möchte mit einer längst entwickelten Impfung wieder der reichste Mann der Welt werden und über Immunstoffe Gedankenkontrolle erreichen. Die Verschwörungsverfechter liefern mehr oder minder originelle Erklärungen, an denen sie keine Zweifel zulassen und deren Erkenntnis nur wenigen Auserwählten vorbehalten sei.

Das Phänomen des Verschwörungsdenkens begleitet die Menschheit durch die Geschichte. Es gewinnt Oberhand, wenn die Menschen verängstigt sind, wenn Katastrophen nicht zu erklären sind, wenn Transparenz und Durchblick fehlen. Um sich sicher zu fühlen, braucht das menschliche Wesen Begründungen. Werden diese von der Wissenschaft nicht oder –wie bei Corona –widersprüchlich geliefert, schaffen sie sich die Menschen selbst. Der Verschwörungsfaszination unterliegen aber nicht nur „Psychos“ oder „Covidioten“, sondern durchaus normale Menschen. Mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung soll an zumindest eine Verschwörungsidee glauben und über 30% der Deutschen seien für solches Gedankengut anfällig, sagt die Forschung. Männer bevorzugen politische Themen, etwa die Inszenierung von 09/11 durch die CIA. Frauen hängen mehr an gesundheitlichen und sozialen Problemen.

Beschäftigen sich Verschwörungsgedanken mit Fragen der Art, wer Prinzessin Diana ermordet habe, sind sie harmlos. Gefährlich werden sie, wenn sie sich zu fanatischen oder wahnhaften Ideen verdichten und diese von Führern auf die Masse übertragen werden. Man denke nur an das Grauen, welches das Schlagwort der jüdischen Weltverschwörung angerichtet hat.

Die allgemein verwendete Bezeichnung „Verschwörungstheorie“ ist unglücklich, weil sie hinter den Gespinsten stehende Wissenschaftlichkeit suggeriert. Viel besser sollte man von Verschwörungsphantasien oder – was Motive und Psyche der Agitatoren am besten treffen würde – von Verschwörungsängsten sprechen. Die so Denkenden hätten nicht mehr das Image von überlegenen Intellektuellen und genialen Aufdeckern, sondern von dem, was sie wirklich sind: verunsicherte, ängstliche, manchmal auch paranoide Menschen.