Leitungsbau anno dazumal

Mit einem zwei Meter langen Bohrer zu frischem Leitungswasser.
SCHRUNS Damit sauberes Wasser direkt von der Quelle zum Haus kommt, nicht verunreinigt durch Tiere oder Jauche, mussten Leitungen aus Holzstämmen gebaut werden. Das Holz kam aus dem Wald und die langen Bohrer für die Löcher vom Schmied.
Während in den Städten bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts Wasserleitungen aus Metall, vor allem Eisen, Einzug hielten und die Holzleitungen allmählich ersetzten, war in unseren ländlichen Regionen die hölzerne Wasserleitung noch in den 1870er-Jahren überall anzutreffen. Je nach Anlage, Bodenbeschaffenheit und Witterung musste eine Holzleitung alle zehn bis maximal alle 100 Jahre ersetzt werden. Viele kleine Bauern- und Berggemeinden konnten sich noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein eisernes Leitungssystem schlicht nicht leisten.
Franz Scheibenstock (71) aus Schruns ist es zu verdanken, dass das ausgestorbene Handwerk des Tüchelbohrers im Montafon noch begutachtet werden kann. Jeden Donnerstag zeigt er Interessierten bei der Alphütte Rellseck in Bartholomäberg, wie aus einem Baumstamm früher ein Wasserrohr gemacht wurde und wie die Stämme dann ineinandergesteckt wurden. „Der Tüchelbohrer war eigentlich kein bestimmtes Handwerk, sondern die Landwirte haben immer im Winter Leitungen für den Eigenbedarf gebaut. Jeden Tag schaffte der Bauer drei bis vier Stück à vier Meter. Man hat sich dabei gegenseitig geholfen. Gelernt habe ich das Handwerk von meinem Vater, der auch eine Landwirtschaft hatte“, erzählt der sympathische Pensionist. Franz Scheibenstock ist leidenschaftlicher Bergsteiger, verheiratet in Schruns, hat drei Kinder und sechs Enkel.
Besonders schwierig scheint es nicht zu sein, so ein Wasserleitungsrohr herzustellen. Man benötigt einen 2,10 Meter langen Bohrer mit spezieller Spitze und 45 Millimeter Durchmesser, den ein Schmied gefertigt hat, Kraft in den Armen und ein gutes Auge. In einen vier Meter langen Baumstamm wird beidseitig hineingebohrt, so dass das Loch genau in der Mitte aufeinandertrifft. Das sei die größte Schwierigkeit. Dann werden die fertigen Stämme noch ineinandergesteckt. Dazu wird ein Stamm keilförmig geweitet und der nächste wird vorne zugespitzt, so können beide zusammengefügt werden. „Das ist eine Kunst des 19. Jahrhunderts, mit wenig wurde viel erreicht. Es ist so einfach, das fasziniert mich“, schwärmt Franz Scheibenstock.
Heute erinnern vielerorts nur noch die erhaltenen und aufbewahrten riesigen Tüchelbohrer sowie hie und da an die Erdoberfläche tretende Überreste noch im Boden befindlicher Holzleitungen an dieses ehemals so elementare, lebensnotwendige und universal ausgeübte Handwerk. YAS