Renner und die Länder
Am vergangenen Montag jährte sich ein Ereignis, das auf wenig Aufmerksamkeit stieß, zum 75. Mal. In Zeiten, in welchen sogar die Feierlichkeiten zum hundertjährigen Bestehen unserer Bundesverfassung abgesagt werden mussten, ist das kein Wunder.
Am 12. Oktober 1945 beschloss die damalige „Provisorische Staatsregierung“ unter Staatskanzler Karl Renner ein Verfassungsgesetz, mit dem die Gesetzgebungshoheit der Landtage wiederhergestellt wurde. Diesem Beschluss war ein hartes Ringen mit den Ländern vorausgegangen. Der Sozialdemokrat Karl Renner, der in den letzten Apriltagen des Jahres 1945 von den Sowjets als Kanzler des befreiten Österreich eingesetzt wurde, hatte diese Funktion bereits bei der Staatsgründung im November 1918 ausgeübt.
„Bei einem Scheitern der Länderkonferenz hätte Österreich ein Schicksal wie dem jahrzehntelang geteilten Deutschland gedroht.“
Renner war kein besonderer Freund der Länder. Schon 1918 hatte er nur widerwillig akzeptiert, dass er seine Vorstellungen von einem straff geführten Zentralstaat nicht durchsetzen konnte und Österreich als Bundesstaat eingerichtet wurde. 1945 sah er die Chance neuerlich gekommen. In den von seiner Regierung beschlossenen Gesetzen waren die Länder zunächst nichts anderes als eine Art Bezirke. Die Rückkehr zum Bundesstaat blieb ungewiss.
Allerdings erwies sich die Renner-Regierung außerhalb der sowjetischen Besatzungszone vorerst als ein rechtliches Nichts. Ihre Gesetzblätter wurden nicht verteilt, ihre Anordnungen nicht wahrgenommen. Die westlichen Besatzungsmächte betrachteten Renner nämlich als Marionette der Sowjets. Dies änderte sich erst nach einer großen Konferenz vom 24. bis 26. September 1945, in welcher sich die maßgeblichen Vertreter der Bundesländer in Wien einfanden. Renner probierte in der Konferenz ein letztes Mal, den Ländern den Zentralstaat schmackhaft zu machen. Vergeblich. Vor allem auf Drängen der westlichen Länder musste er schließlich die Wiedererrichtung des Bundesstaates samt Landesgesetzgebung sowie freie Wahlen versprechen. Erst danach waren die Länder außerhalb der sowjetischen Besatzungszone und mit ihnen die westlichen Besatzungsmächte bereit, die Renner-Regierung anzuerkennen.
Bei einem Scheitern der Länderkonferenz hätte Österreich ein Schicksal wie dem jahrzehntelang geteilten Deutschland gedroht. Das wusste auch Renner, der in seinem Schlusswort pathetisch vom zweiten Versuch nach 1918 sprach, die Republik zu begründen. In Vorarlberg war die Euphorie geringer. Gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“ äußerte Landeshauptmann Ilg zur Länderkonferenz, es sei immerhin gelungen, ein Auseinanderfallen der Konferenz zu verhindern. Immerhin.
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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