Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Gewissenlos

Vorarlberg / 20.11.2020 • 06:59 Uhr

Die neue Lockdown-Verordnung hat mit der knappen Mehrheit der Regierungsparteien die Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates gefunden und ist in Kraft getreten. Die Abgeordneten der Oppositionsparteien konnten sich nicht zu einer Zustimmung durchringen. Ungehört blieben bei ihnen die Appelle der ÄrztInnen in den Spitälern, die hilflos einer immer weiter steigenden Zahl von PatientInnen, die intensivmedizinische Behandlung benötigen, gegenüberstehen.

„Wer einer Notmaßnahme zustimmt, billigt damit nicht die Begleitumstände.“

Wie politische MandatarInnen der einzigen Möglichkeit, eine Katastrophe abzuwenden, die Zustimmung versagen können, bleibt hinter dem grauen Schleier der Parteiräson verborgen. Man kann ja durchaus die Meinung vertreten, dass die Bundesregierung viel rascher hätte handeln müssen und zum Beispiel darin versagt hat, exzessive Corona-Partys zu verhindern. Es ist sogar dann politisch legitim (allerdings scheinheilig), der Bundesregierung Versäumnisse vorzuwerfen, wenn man selbst durch Verharmlosung den Boden für die Katastrophe bereitet hat. Aber niemand kann ernsthaft bestreiten, dass jetzt dringender Handlungsbedarf besteht. Wer einer Notmaßnahme zustimmt, billigt damit nicht die Begleitumstände.

Natürlich kann man über die Sinnhaftigkeit der einen oder anderen Maßnahme, wie zum Beispiel die Schulschließungen, geteilter Auffassung sein. Aber die bildungspolitische Welt geht wegen drei Wochen nicht unter, vor allem dann nicht, wenn es Online-Unterricht und Betreuungsmöglichkeiten gibt. Selbst wenn Schulen keine besonderen Infektionscluster sein sollten (die ExpertInnenmeinungen gehen auseinander), die Kontaktreduktion ist allemal sinnvoll und die Maßnahme dürfte sachlich gerechtfertigt sein.

„Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden“, heißt es in der Bundesverfassung. Das soll heißen, dass sich die Abgeordneten bei ihrer Entscheidung von ihrem Gewissen leiten lassen dürfen und nicht vom Auftrag der Parteiführung. Kann es wirklich sein, dass die MandatarInnen der Oppositionsparteien keine Gewissensbisse plagten?

Peter Bußjäger ist Direktor des ­Instituts für Föderalismus und ­Universitätsprofessor in Innsbruck.