Pflegeheime
Das Corona-Virus greift jetzt in den Pflegeheimen um sich. Ein großer Teil des dramatischen Anstiegs der Zahl der Todesopfer in den letzten Tagen ist darauf zurückzuführen. Die Schuldzuweisungen sind wie üblich schnell bei der Hand: Der Staat hat es verabsäumt, die alten Menschen in den Heimen zu schützen. Besonders schäbig verhalten sich jene Politiker, die jetzt Jung gegen Alt ausspielen: „Weil der Staat nicht in der Lage war, die Heime zu schützen, müssen jetzt die Kleinen leiden“, war etwa schon in den sozialen Medien zu lesen.
Manche fragen schon laut, warum wegen Ischgl bereits Klagen eingebracht wurden, wegen der Toten in den Pflegeheimen jedoch nicht. Meine Antwort: Es ist vielleicht gegenwärtig noch etwas zu früh, aber derartige Prozesse werden sicher noch folgen.
Die Frage ist freilich, ob solche Klagen auch moralisch gerechtfertigt sein werden. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass schwerwiegende Fehler gemacht wurden, aber die Heime standen nach dem ersten Lockdown unter besonderem Druck. Sowohl die Pflegebedürftigen als auch ihre Angehörigen übten heftige Kritik an den Besuchsverboten und Restriktionen. Sogar die Volksanwaltschaft schaltete sich ein: Selbstverständlich müssten die Pflegeheime Besuche ermöglichen. Bei gleichzeitiger Wahrung der Sicherheitsstandards, versteht sich. In einem Beitrag in einer Fachzeitschrift erklärte der Autor die Empfehlungen des Gesundheitsministeriums für rechtlich unbeachtlich und drohte den Heimleitungen mit dem Strafrichter, sollten Bewegungs- und Besuchsfreiheit der Heimbewohner eingeschränkt bleiben. Aber der Anspruch, volle Freiheit und volle Sicherheit zu vereinen, ist leider realitätsfremd.
Natürlich kann man blauäugig der Meinung sein, die Politik wie die Heime hätten sich nicht von solchen Zurufen beirren lassen dürfen, sondern ausschließlich das tun, was für ein möglichst langes Leben der BewohnerInnen das Beste ist. Aber der öffentliche Druck führt eben zu manchen Abwägungsentscheidungen. Auch wenn diese Kompromisse von den BesserwisserInnen im Nachhinein als Versagen qualifiziert werden.
„Weil der Staat nicht in der Lage war, die Heime zu schützen, müssen jetzt die Kleinen leiden.“
Peter Bussjäger
peter.bussjaeger@vn.at
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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