„Bei der ÖVP ist Feuer am Dach“

Vorarlberg / 19.10.2021 • 19:08 Uhr
Hubert Sickinger war kürzlich im Dornbirner Spielboden zu Gast. Am Rande der Veranstaltung trafen ihn die VN zum Interview. VN/Steurer
Hubert Sickinger war kürzlich im Dornbirner Spielboden zu Gast. Am Rande der Veranstaltung trafen ihn die VN zum Interview. VN/Steurer

Experte Hubert Sickinger im Interview über Korruption, Ermittlungen und Schattenkanzler.

Dornbirn Angriffe auf Korruptionsermittler aus den Reihen jener, die kontrolliert werden, sind nicht ungewöhnlich, erklärt Hubert Sickinger. Das System Kurz sei hingegen etwas völlig Neues, schildert der Politikwissenschaftler im VN-Interview. Eine Begebenheit brachte ihn und andere schließlich dazu, das Anti-Korruptionsvolksbegehren einzuleiten.

 

Sebastian Kurz als Bundeskanzler ist Geschichte. Er stolperte über Korruptionsermittlungen. Hat Sie das überrascht?

Sickinger Ja und nein. Überrascht war ich, dass offenbar eine Partei oder innerparteiliche Gruppe über Inserate eines Ministeriums derart direkt redaktionelle Berichterstattung kaufen kann, und vor allem dass über ein unzuständiges Ministerium manipulierte Parteiumfragen über andere Aufträge abgerechnet wurden. Nein, weil wir all die möglichen Gegenmaßnahmen ja im Antikorruptionsvolksbegehren direkt angesprochen haben: Ein Schlussstrich unter die Inseratenkorruption, stattdessen ein gesetzlich geregeltes, transparentes System der Förderung von Qualitätsjournalismus. Ein Informationsfreiheitsgesetz, verstärkte Kontrollrechte für den Rechnungshof und ein verbessertes Parteiengesetz.

 

Die ÖVP hat sich lange mit Gegenangriffen gewehrt.

Sickinger Ja, ich erinnere an die Angriffe auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die im Jänner 2020 mit einem Hintergrundgespräch begonnen haben, genau zu dem Zeitpunkt, als sie der ÖVP zu nahe gekommen ist. Das ist jedoch andererseits typisch. Wenn Antikorruptionsbehörden das tun, wofür sie geschaffen wurden, machen sie sich unbeliebt, das passiert international überall.

 

Österreich ist also der Regelfall?

Sickinger Sagen wir so: Die Mächtigen wollen nicht kontrolliert werden. Dass man in Österreich immer noch eine der politischen Spitze weisungsgebundene Staatsanwaltschaft hat, ist im EU-Raum völlig atypisch, das gibt es sonst nur in Deutschland. Mit diesem System hätten wir heutzutage der EU gar nicht mehr beitreten dürfen.

 

Finden Sie sonst noch Unterschiede zum internationalen Regelfall?

Sickinger Das System Kurz ist etwas völlig Neues. Bisher war es so, dass zwei große Parteien, die ÖVP und die SPÖ, Personen von Gewicht in exekutive Positionen brachten. Kurz führte 2017 Generalsekretäre ein, mit Durchgriffsrecht bis zum letzten Beamten, die von ihm und seinem Kabinett ausgewählt wurden. Die Generalsekretäre sind quasi Schattenminister. Man hat beim ehemaligen Finanzminister Hartwig Löger gesehen, warum dieser Schritt gesetzt wurde. Sein Generalsekretär Thomas Schmid war in Wirklichkeit der Minister, wie auch die Chats zeigten. Die tatsächliche Politik wurde zwischen dem Kabinett Kurz und den Generalsekretären abgestimmt. Da kann man natürlich politisch schwache, unerfahrene Minister ohne Hausmacht in der Partei einsetzen und die Entscheidungen vorgeben.

 

Kurz vor dem Rücktritt mobilisierte die ÖVP alles. Die stellvertretende Generalsekretärin Gabriele Schwarz machte Gerüchte zu bevorstehenden Hausdurchsuchungen öffentlich, Abgeordneter Andreas Hanger ortete sogar linke Zellen in der WKStA.

Sickinger Seit der Casinocausa ist bei der ÖVP natürlich Feuer am Dach. Die Pressekonferenzen waren sicher mit dem Parteianwalt genau abgestimmt. Was die stellvertretende Generalsekretärin Gabriele Schwarz mit ihrer Pressekonferenz aussagen wollte, war aber nicht so klar. Entweder sollte es heißen: „Bei uns nicht, sonst gibt es Krieg“ oder es war eine Warnung an die Parteimitarbeiter: „Bitte löscht alles!“. Der entscheidende Punkt sind aber die Auswüchse, wie sehr in der Justiz die Wiener Oberstaatsanwaltschaft und der übermächtige Strafsektionschef Christian Pilna­cek bis 2020 alles getan haben, um Untersuchungen zu behindern. Diese Auswüchse waren schließlich der unmittelbare Anstoß, ein Volksbegehren zu machen.

 

Tut die türkis-grüne Bundesregierung genug gegen Korruption?

Sickinger Im Regierungsprogramm sind einige zentrale Themen angesprochen, aber es ist bezeichnend, dass noch nichts daraus geworden ist. Ein modernes Informationsfreiheitsgesetz wollte man schon Mitte des Vorjahres vorlegen. Im Februar hat man es zwar veröffentlicht, aber es steckt offensichtlich noch fest. Eine gründliche Überarbeitung des Parteiengesetzes war schon im vergangenen Herbst geplant, und es gibt bisher noch keinen öffentlich bekannten Entwurf. Nun hat die Rechnungshofpräsidentin einen Vorstoß gemacht. Hoffentlich kommt wieder Bewegung in die Sache.

„Mit diesem System hätten wir heutzutage der EU gar nicht mehr beitreten dürfen.“