„Die Macht ist nur geliehen”

Vorarlberg / 21.10.2021 • 18:36 Uhr
Kurt Bereuter (links) und Kuno Sohm hoffen auf mehr Mitbestimmung der Bevölkerung. Die Macht der Politik sei nur geliehen, betont Bereuter. VN/Paulitsch
Kurt Bereuter (links) und Kuno Sohm hoffen auf mehr Mitbestimmung der Bevölkerung. Die Macht der Politik sei nur geliehen, betont Bereuter. VN/Paulitsch

Kurt Bereuter und Kuno Sohm über Volksabstimmungen und den Umgang der Politik damit.

Schwarzach Die Bürgerräte sind eine gute Sache. Da sind sich Politik und Vertreter der Zivilgesellschaft einig. Aber was geschieht danach? Oft landen Ergebnisse in der Schublade, kritisiert Demokratieaktivist Kuno Sohm. Er fordert im VN-Interview eine Fortschrittskontrolle nach einem Jahr. Sein Kollege Kurt Bereuter glaubt hingegen an die Macht der Bürgerräte. Das Duo sprach mit den VN außerdem über Volksabstimmungen und die Angst der Politik vor dem Volk.

 

Peter Bußjäger sagt, dass die Politik eigentlich kein Interesse daran hat, Macht an das Volk abzugeben. Teilen Sie diese Einschätzung?

Sohm Es wird gar nicht mehr gehen, ohne dass man die Leute breit einbezieht. Es ist eine Illusion, wenn Abgeordnete sagen: „Wir machen das für uns, wir brauchen keine direkte oder partizipative Demokratie.“ Wir müssen doch alle miteinbeziehen, damit es zu guten Entscheidungen kommt.

Bereuter Die repräsentative Demokratie hat die Macht nur geliehen. Diese Macht kann man wieder entziehen. Die Macht liegt eigentlich beim Volk. Die Schweizer sind davon überzeugt, dass Politiker nicht schlauer sind als das Volk. Das ist eine Einstellungsfrage, aber auch eine Haltungsfrage gegenüber der Demokratie.

 

Ihren Preis erhielten Sie für die Bürgerräte. Da geht es nicht um direkte Demokratie, sondern um Beteiligung. Funktionieren die Bürgerräte?

Sohm Da wurde im Land ein tolles Modell kreiert. Aber es wird viel zu wenig genutzt. Das Land ist stolz, wenn man einmal pro Jahr einen Bürgerrat macht. Man lässt die Leute ein bisschen partizipieren. Aber eigentlich wissen wir, wie mit den Ergebnissen umgegangen wird. Du hast das selber erlebt, Kurt.

Bereuter Ich war im Bürgerrat zu Grund und Boden. Der wurde medial sehr stark begleitet, da ist einiges rausgekommen. Meiner Meinung nach ist der Schuss der Bürgerräte nach hinten losgegangen. Man hat nicht damit gerechnet, dass da eine kritische Masse zusammenkommt. Weil, wer geht denn auf einen Bürgerrat? Jemand, der sich interessiert und sich traut, etwas zu sagen. Das kann für die Politik sehr unangenehm werden. Insofern glaube ich, dass sie mittlerweile damit nicht mehr so euphorisch umgehen.

 

Die Ergebnisse landen also nicht immer in der Schublade?

Bereuter Es entsteht dann etwas, wenn es eine mediale Begleitung gibt. Bei Grund und Boden war das so. Beim Bürgerrat zum Thema Landwirtschaft hieß es dann plötzlich: Da wird nicht so eingeladen wie sonst immer. Denn dann wäre unter 30 Leuten vielleicht kein einziger Bauer. Deshalb startete das Land zuerst einen Prozess mit der Landwirtschaftskammer. Die Kammer stellte dann sicher, dass ihr Vertreter im Bürgerrat das Richtige transportiert. Das hat dazu geführt, dass die Landwirtschaftskammer diesen Bürgerrat sehr dominiert hat. Da ist de facto nichts rausgekommen.

Sohm Zu Beginn herrscht im Bürgerrat große Euphorie. Dann gibt es die Bürgercafés, wo die Ergebnisse präsentiert werden. Und zum Schluss setzen sich zwei Vertreter mit dem verantwortlichen Landesrat zusammen, um die weiteren Schritte zu besprechen. Und dann verschwindet das Thema. Gut wäre es, wenn man sich nach einem Jahr wieder zusammensetzt und Fortschritte bespricht. Ansonsten ist es für viele frustrierend.

Bereuter Ich meine nach wie vor, der Bürgerrat, so wie er gedacht war, ist ein Instrument für die Machthaber. Denn es gibt ja keine Entscheidungsmacht.

 

Von 600 Einladungen zum Bürgerrat werden 30 angenommen. Wie schafft man es, jene zu erreichen, die sich nicht beteiligen möchten?

Bereuter Das geht ja momentan mit Social Media ziemlich gut. Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine Betroffenheitsdemokratie reinrutschen, die es in der Schweiz ein Stück weit gibt. Es gibt relativ geringe Beteiligungszahlen bei diesen Volksabstimmungen, weil nur Leute hingehen, die es direkt betrifft.

Sohm Aber jeder könnte hingehen. Bei uns gibt es nicht einmal die Möglichkeit. Das ist ein großer Unterschied.

Bereuter Die Frage ist, ob es immer gut ist, wenn man sich nur dort beteiligt, wo es einen direkt betrifft. Das macht die Gemeindevertretung aus. Der Götzner Bürgermeister Christian Loacker sagte, dass jede Gemeinde einen Bürgerrat habe. Nämlich die gewählte Gemeindevertretung. Damit hat er nicht ganz unrecht. Die Gemeindevertretung muss für Fragen zur Verfügung stehen, die für sie selbst vielleicht nicht relevant sind oder nicht wichtig für das Alltagsgeschäft.

Veranstaltung

Demokratie, bist du noch zu retten? Die Initiativgruppe der Vorarlberger Bürgerräte erhielt vor einem Jahr einen Demokratiepreis. Das Preisgeld wird wieder in Demokratieprojekte gesteckt. Sie unterstützte die Initiative „Volksabstimmen über Volksabstimmen“. Bereuter und Sohm organisieren zudem eine Veranstaltung, die heute, Freitag, in der alten Schuhfabrik in Höchst stattfindet. Eingeladen sind Politiker, Vertreter von Bürgerinitiativen und Initiatoren von Volksabstimmungen. Sie diskutieren zuerst intern und ab 19 Uhr vor Publikum. Informationen und Anmeldung unter www.buergerinnen.at