Pathologin geht mit Politik und Impfgegnern hart ins Gericht

Oberärztin Susanne Dertinger fordert von der Politik radikale Statements mit klaren Vorteilen für die Impfung.
Feldkirch Die vierte Pandemiewelle wütet im Land, und das macht viele wütend, auch die leitende Oberärztin für Pathologie im LKH Feldkirch, Susanne Dertinger. Leidenschaftlich setzt sie sich für die Impfung und den Schutz von Kindern ein und fordert von der Politik radikale Statements mit klaren Vorteilen für Geimpfte.
Sie bezeichnen die neuen Verordnungen als falsches politisches Signal. Warum?
Dertinger Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft. Sie werden nicht nur durch die Pandemie, sondern auch durch die Aktualität der Klima- und Flüchtlingskatastrophen emotional schwer belastet.
Das Covid-19-Virus wird nicht mehr verschwinden, wir werden lernen müssen damit zu leben. Die meisten Kinder werden die Infektionen großteils ohne nennenswerte Symptome überstehen. Wir sollten ihnen daher ihr Leben, einen Teil der Unbeschwertheit, der Normalität zurückgeben.
Wie kann das gelingen?
Dertinger Das gelingt nur, wenn alle Erwachsenen sich impfen lassen. Viele Jugendliche sind bereits geimpft und haben damit Verantwortung für die Erwachsenen übernommen. Trotzdem haben sie jetzt keinerlei Vorteil dadurch. Das ist das falsche politische Signal.

Was verlangen Sie von der Politik?
Dertinger Ich wünsche mir eine Coronapolitik, die klare, medizinisch und gesellschaftlich sinnvolle Ziele verfolgt und radikale Statements setzt mit klaren Vorteilen für Geimpfte. Das ist aber wohl nicht durchsetzbar. Am Ende wird es auf eine Impfpflicht durch die Hintertür hinauslaufen.
Sind Sie für eine Kinderimpfung?
Dertinger Wir sollten die Kinder nicht mehr ständig mit dem Thema Covid belasten. Mit einer generellen Impfung der Erwachsenen würden wir die Brisanz der Pandemie entschärfen und Lockdowns sowie Schuleinschränkungen vermeiden. Kinder zu impfen würde die Frequenz der Virusübertragungen signifikant reduzieren und damit die Pandemiesituation weiter entspannen.

Sie sagen auch, dass Solidarität erst dann entstehen wird, wenn jeder Haushalt einen Covid-Sterbenden verabschieden und die Angst miterleben musste. Braucht es diese Zuspitzung?
Dertinger Meiner Meinung nach hat jeder eine Verpflichtung, insbesondere das Gesundheitssystem nicht unnötig zu strapazieren. Leider funktioniert der Appell an die Mitverantwortung nicht, wohl aber ist Angst ein treibender Motor. Wenn der Covid-Tod ein „Mitbewohner“ im Haushalt wird, wenn Ungeimpfte damit konfrontiert werden, dass sie einen älteren Angehörigen mit Covid infiziert haben und dieser allein auf der Intensivstation am Lungenversagen sterben musste, wird sich vielleicht etwas ändern.
Was hindert Menschen immer noch daran, sich impfen zu lassen?
Dertinger Ein Grund dafür ist Unwissen, fehlendes Vertrauen in die Politik und die Medien. Viele Falschinformationen sind vor allem für medizinische Laien kaum mehr von fundierten wissenschaftlichen Daten zu unterscheiden. Im öffentlichen Gedächtnis der breiten Masse bleiben die Negativschlagzeilen, nie das Positive, das ist nicht spektakulär. Die Impfung ist nicht dazu da, unserer Gesellschaft die Freiheit zu nehmen, sondern sie ihr zurückzugeben.
Sie vertreten die Ansicht, dass ungerechtfertigt Ungeimpfte, wie in Singapur bei jedem Spitalsbesuch einen Selbstbehalt zahlen sollen. Würde das nicht zu weiteren Spaltungen führen?
Dertinger Die Spaltung ist schon da, die Geimpften fragen sich, warum sie mit ihren Steuergeldern die ständigen Tests und vermeidbaren Krankenstände, Behandlungen und Komplikationen von Ungeimpft-Covid-Erkrankten mittragen sollen, wo doch die Impfung ein günstiges und nachweisbar probates Mittel ist, diese schweren Verläufe zu verhindern. Auch frage ich mich, wie die verantwortlichen Mediziner damit fertig werden, wenn ein schwer verletzter Jugendlicher sterben muss, weil kein Intensivbett mehr frei ist, da diese von ungeimpften Covid-Kranken belegt werden. In jedem Falle ist das Verlangen eines Selbstbehalts dazu geeignet, wirklich alle Klassen der Bevölkerung zu treffen, mehr zumindest als die Vorgabe von 2G fürs Skifahren.
Sie haben unlängst mit dem Pflegepersonal der Covid-Intensivstation im LKH Feldkirch gesprochen. Wie stellt sich die Situation dort dar?
Dertinger Das Personal macht keinen Unterschied, ob geimpft oder nicht, der Patient und sein Leiden stehen im Mittelpunkt. Aber eine sterbende alte Dame zu begleiten, in voller Schutzmontur, der Sterbenden mit behandschuhten Händen ein wenig das Gefühl von Nähe zu geben, nicht allein zu sein, das ist unglaublich belastend, denn eigentlich sollten da Angehörige sitzen. Diese aber sind möglicherweise alle in Quarantäne, weil sie sich nicht impfen lassen wollten. Das verstört dann durchaus. Auch die rein körperliche Belastung durch das Tragen der Schutzanzüge ist enorm.