Warum Intensivpfleger Marcel Walter flehentlich zum Impfen aufruft

Seit Corona Schrecken und Tod verbreitet, ist der 42-jährige Familienvater praktisch immer im Dienst.
Feldkirch Marcel Walter geht es gut. “Ich bin ein robuster Mensch. Und auch noch immer motiviert. Muss ich ja sein in dieser Situation”, lächelt der umgängliche Nüziger. Dabei wäre sein Alltag prädestiniert dafür, all diese Wesenszüge zu zerstören. So wie Corona so viel zerstört, was in unserem Leben wertvoll ist. Vor allem das Leben selbst.
Von hart zu brutal
Marcel Walters Arbeit und das seiner 74 Kolleginnen und Kollegen auf der Intensivstation des LKH Feldkirch war immer schon hart. Jetzt ist sie brutal. “Seit Corona unsere Kapazitäten auf der Station an die Grenzen bringt, kann ich mich eigentlich nicht mehr wirklich vom Dienst befreien. Es beschäftigen mich gerade derzeit wieder auch in der Freizeit immer dieselben Fragen: Hab’ ich genug Kollegen eingeteilt? Sind wir auf Extremsituationen eingestellt? Wie geht es den Kollegen?”
Es ging nicht vorbei
Die Kolleginnen und Kollegen. Der Stationsleiter muss dieser Tage, Wochen, Monate und bald Jahre besonders sensibel mit ihnen umgehen. Weil die Stimmung langsam kippt. “Wir hatten die erste Welle. Da waren wir zwar auch am Anschlag. Aber wir waren guten Mutes. ‘Das stehen wir durch. Es geht vorbei.’ So haben wir gedacht. Und als dann die Impfung kam, sahen wir endlich Licht am Ende des Tunnels.”
“Wir sind alle müde und deprimiert. Wir sehen zwar das Ziel vor uns, aber nie eine Ziellinie.“
Marcel Walter, Pflegeleiter LKH Feldkirch
Doch jetzt. “Jetzt sind wir alle müde, depremiert. Wir sehen zwar ein Ziel vor uns, aber nie eine Ziellinie.” Die Motivation, für jedes Leben zu kämpfen, sei jedoch ungebrochen. Oft ist der Kampf bei allen Anstrengungen vergeblich. Stellvertretend für alle Sterbenden auf der Intensivstation denkt Walter an einen 70-Jährigen. “Der Mann kam zuerst auf die Normalstation. Er hat die üblichen Symptome. Vor allem Atemnot. Es wird schlimmer. Er kommt zu uns auf die Intensivstation. Er braucht immer mehr Sauerstoff. Es geht im schlechter. Er erhält eine Sauerstoffmaske. Und dann kommt der Punkt, an dem er einwilligen muss, in künstlichen Tiefschlaf versetzt zu werden. Das wird er. Doch er wachte nie mehr auf.” Walter wird nachdenklich. “Der Mann war ein so sympathischer Typ. Wir hatten ihn alle gern. Damals gab es die Impfung noch nicht.”

Sie müssten nicht sterben
Es ist der emotionalste Moment auf der Intensivstation auch für Pfleger und Ärzte. “Wenn wir die Patienten über den künstlichen Tiefschlaf aufklären. Wenn sie dann mit ihren Angehörigen darüber sprechen. Wir wissen, das könnten die letzten Worte sein, die sie mit ihren Liebsten wechseln. Auch an uns, so sie uns ihr Okay für diesen Schritt geben.” Die Versetzung in den künstlichen Tiefschlaf ist für die Patienten ab einem bestimmten Punkt praktisch die einzige Überlebenschance. Vielen ist jedoch nicht bestimmt, diese Chance nützen zu können.

“Ja, es sterben viele bei uns”, sagt Marcel Walter. Aber er sagt auch: “Viele müssten nicht sterben, wenn sie geimpft wären. Es ist einwandfrei belegt, dass die Impfung zu über 90 Prozent vor schweren Verläufen schützt. Und auch wenn es zugegeben derzeit viele Impfdurchbrüche gibt: Die Betroffenen landen in den seltensten Fällen im Krankenhaus oder gar bei uns auf der Intensivstation.”
Walter richtet einen fast flehentlichen Appell an die Ungeimpften: “Lasst euch impfen. Ihr schützt euch und entlastet die Intensivstationen. Ihr sorgt dafür, dass auch bei uns Operationen nicht mehr verschoben werden müssen, weil das Personal bei uns gebraucht wird.”
Er und sein Team wollen endlich nicht nur das Ziel sehen, sondern die Ziellinie. Wie wir alle.
Intensivstation LKH Feldkirch
28 Intensivplätze derzeit
Ein Intensivplatz braucht drei Stellen
Derzeit 20 Stellen mehr besetzt
Belegung (Stand 30. November): 19 Patienten, davon 5 Covid-Patienten
Pflegeteam: 75 Personen
Leitung: Marcel Walter