Ziemlich beste Freunde – Gott und Slawo

Slawo (36) haust seit einigen Wochen in einer Tunnelhöhle. Zuvor hatte der obdachlose Mann unter einer Brücke Schutz gesucht.
Schwarzach Mit ohrenbetäubendem Lärm rattert der Zug durch den Tunnel. Der kalte Luftwirbel erfasst die ganze Tunnelhöhle und wirbelt die Asche des Lagerfeuers auf. Wie verrückt tanzen die glühenden Ascheflocken durch die Höhle. Slawo (36) „bewohnt“ die ungemütliche Höhle seit einigen Wochen. Zuvor hauste der 36-Jährige unter einer Brücke. Bis vor sieben Monaten hatte der Sohn eines Russen und einer Polin noch eine Arbeit und eine Unterkunft in Vorarlberg. „Ich kann ohne Ende arbeiten. Aber die Trockenbaufirma, für die ich gearbeitet habe, hat mir nur einen Bruchteil der Stunden bezahlt, die ich geleistet habe. Das habe ich mir nicht gefallen lassen. Ich will nie wieder veräppelt werden“, erklärt er in gutem Deutsch, warum er die Arbeit hinschmiss und jetzt obdachlos ist.
Nicht jeder könnte auf der Straße überleben. Aber der Osteuropäer ist abgehärtet – vom Krieg in Afghanistan. Sechs Jahre lang diente Slawo der russischen Armee als Scharfschütze in Kabul. Die gefährliche Mission hat bei ihm Narben hinterlassen, äußere wie innere. Der junge, kräftige Mann streift sich den Socken vom Fuß. Auf dem Knöchel sieht man eine vernarbte Schusswunde. Die Narben auf seiner Seele sieht man nicht. „Ich bin schon oft zum Psychologen gegangen.“

Slawo steht von seinem dürftigen Lager auf und legt Holz nach, das er im Wald gesammelt hat. Das Lagerfeuer brennt 24 Stunden am Tag. Es wärmt den Outsider an kalten Tagen und dient ihm als Kochstelle. „Heute grille ich Zucchini“, sagt er. Mit fleischlosem Essen kann man Slawo eine Freude bereiten. Denn er ist Vegetarier. „Tiere wollen genauso leben wie wir“, meint er und inspiziert seinen Essensvorrat. Neben zwei Zucchini sind noch ein paar Eier im Karton und ein Gemüsesalat. Bei der Hilfsorganisation Tischlein deck dich deckt sich der unterstandslose Mann mit Essen ein. „Ich danke Gott für die Lebensmittel.“
Er redet mit Gott
Slawo und Gott sind schon lange Freunde, mittlerweile sogar beste Freunde. Der Allmächtige kam in sein Leben, als er zwölf Jahre alt und sehr einsam war. Damals saß Slawo gerade wegen eines Raubes eine sechsmonatige Strafe im Jugendknast ab. „In diesem halben Jahr kam mich kein einziger Freund besuchen.“ Aus der inneren Not heraus begann der Bub zu beten. Der innere Dialog mit Gott ist seither nicht mehr abgebrochen. „Ich rede immer mit Gott. Er gibt mir Antworten. Er sagt mir die ganze Zeit, dass ich an ihn glauben und ihm vertrauen soll. Und dass ich Menschen helfen soll.“ Slawo hört auf Gott. Der wohnungslose Mann, der auf der Schulter die Muttergottes eintätowiert hat und auf dem Rücken den leidenden Jesus am Kreuz, hilft, wo er kann. Wenn er sieht, dass sich alte oder gehandicapte Menschen mit schweren Einkaufstaschen abmühen, ist er zur Stelle.

Slawo schaut auf sein Handy. In einer halben Stunde beginnt der Gottesdienst. Es gibt keinen Tag, an dem der 36-Jährige nicht die Heilige Messe besucht. Manchmal möchte er mit Gott allein sein. Dann geht er in die Kirche, wenn niemand da ist und redet laut mit Gott. Der Mann, dessen einzige Habseligkeiten zwei Schlafsäcke und eine Bibel sind, will nichts vom Herrgott. Es käme ihm nie in den Sinn, etwas von ihm zu erbitten. Vielmehr sind seine Gebete Dankgebete. „Ich bedanke mich, dass ich leben darf.“
Sein Leben stand schon öfters auf der Kippe, nicht nur in Kabul, sondern auch hierzulande. In Deutschland, wo er eine zeitlang als Bauleiter arbeitete, gingen jene Leute auf ihn los, die er zuvor gekündigt hatte. „Sie verprügelten mich und stachen mehrmals mit einem Messer auf mich ein. Ich blutete stark. Sie wollten mich in den Wald fahren und mich dort begraben. Als sie eine Decke holten, gelang mir die Flucht.“ Slawo nestelt an dem Rosenkranz, den er ums Handgelenk trägt. Der Ausflug in seine Vergangenheit hat ihn nervös gemacht und auch etwas traurig.

Wenn er sich seine Eltern aussuchen hätte können, hätte Slawo andere gewählt. Beide waren dem Alkohol zugetan. Liebe kennt das Scheidungskind nur vom Hörensagen. „Ich weiß nicht, was Liebe ist.“ Sein Vater war ein gewalttätiger Mensch. Er schlug seinen Sohn regelmäßig und strafte ihn martialisch. „Er ließ mich zwei Stunden knien, auf Bohnen.“ Slawo ging früh seine eigenen Wege. Er erlernte den Kochberuf. „Ich liebe es zu kochen.“ Unter anderem ging er in England seinem Beruf nach. Dort kam er über eine Freundin mit Drogen in Kontakt. Slawo wurde süchtig. „Im Gefängnis kam ich von den Drogen weg.“
Seine Droge heute ist der Alkohol. „Vor sechs Jahren ließ ich mich scheiden, weil meine Frau mich betrogen hatte. Da habe ich zu trinken angefangen.“ Sein Nachsatz geht fast unter in dem Lärm, den der vorbeifahrende Zug macht. „Wenn ich arbeite, trinke ich nichts.“ Alle acht bis zehn Minuten rauscht ein Zug durch den Tunnel. Nur in der Nacht hat Slawo Ruhe. „Von 1 Uhr nachts bis 5 Uhr in der Früh fährt zum Glück kein Zug“, sagt der obdachlose Mann und zieht sich seinen Poncha über. Es ist Zeit, um in die Kirche zu gehen.
