Sein Name
Die 18-jährige Martina nannte ihr Kind Pirmin, weil ihr Onkel, ein Namensforscher, erzählt hatte, dass Pirmin ein keltischer Name sei, und „Bärenmann“ bedeute. Welche Mutter will keinen Bärenmann.
Obwohl das nicht passte, denn Pirmin war zart wie ein Vögelchen und gehätschelt von der Mutter, die ihm mehr als alles gab, um auch den Vater zu ersetzen. Der Vater, eine Zufallsbekanntschaft, hatte ihn nur gezeugt. Er wusste gar nicht, dass er einen Sohn hatte.
Als Martina Mitte zwanzig war, hätte sie doch gern einen Mann gehabt, weil alle ihre Freudinnen Männer hatten. So hielt sie die Augen offen.
Martina saß mit ihrem Pirmin im Park, sie strickte an einem Mützchen, und Pirmin zog an der Wolle. Ein Mann sprach sie an, der ihr vernünftig vorkam, wie einer, der sich als Ehemann eignen würde. Er sah aus, als könnte er ihr großer Bärenmann werden. Er schaute Pirmin an, griff nach seinen weißen dünnen Oberärmchen und sagte: „Aus dem machen wir einen Mann.“
Als Martina Mitte zwanzig war, hätte sie doch gern einen Mann gehabt, weil alle ihre Freudinnen Männer hatten.
Martina zweifelte. Einerseits gefiel ihr die Vorstellung, andererseits wünschte sie, ihr Liebling sollte so sein, wie er war. Sie hatte keinen Standpunkt, und wie es so oft der Fall ist, ordnete sie sich dem Mann unter, ließ sich Dinge einreden, die besonnen klangen, zum Beispiel, dass Pirmin ins Eiswasser gesetzt werden müsste, um sich abzuhärten. Martina nahm das feinste Tuch und rubbelte Pirmin ab. Sie zweifelte wieder. Was, wenn der Bärenmann recht hatte, dass Pirmin bei der kleinsten Krankheit sterben würde? Also ließ sie ihn.
Der Bärenmann konnte auch lieb sein, zärtlich zu ihr und ihrem Sohn. Er erzählte ihm Geschichten von starken Männern, die die Welt verändert hatten. Das Fleisch, das Pirmin essen sollte, brachte er nur schwer in den Magen – seine Mutter warf ihm Kusshände zu und lobte ihn, wenn er es wieder einmal geschafft hatte.
Aber wie es so kommt. Aus Pirmin wurde kein Bärenmann, er tat sich schwer, auf die niedrigen Äste des Kastanienbaums zu klettern. Er war brav, wollte gefallen. Die Mutter konnte es kaum mitansehen. Sie schmeichelte dem Bärenmann und versuchte ihn von Pirmin abzulenken. Seine Mission aber war die Erziehung eines schwachen Menschen zu einem starken, darauf hatte er sich versteift.
Er scheiterte. Wie sollte es anders sein. Sein Versagen konnte er nicht ertragen. Er verließ die Frau, die darüber unendlich traurig war, aber auch ein wenig froh, dass sie ihren Pirmin wieder für sich hatte. Sie förderte ihn, kaufte ihm Farben und Papier, blätterte mit ihm in Kunstbüchern, besuchte Ausstellungen. Pirmin begann zu malen, und ob dann aus ihm ein großer Künstler geworden ist, wissen wir nicht.
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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