Teuerung zeigt drastische Auswirkungen

Privatkonkurs bald nicht mehr leistbar.
Schwarzach Mit Besorgnis wird derzeit auf die monatlich veröffentlichte Inflationsrate gewartet. Im Juli lag sie bei 9,3 Prozent. So hoch war sie zuletzt 1975. Die damit einhergehende Teuerung betrifft alle Lebensbereiche. Die Kosten für Wohnen und Energie explodieren geradezu, auch die Preise für Lebensmittel steigen gefühlsmäßig beinahe täglich. Wenig im Korb und danach noch weniger in der Geldbörse: Besonders Familien und Alleinerziehende machen die nicht enden wollenden Belastungen zu schaffen.
Mehr Monat als Monetäres
Mitarbeitende von Sozialeinrichtungen erzählen von Menschen, die schon am 20. des Monats nichts Monetäres mehr haben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Mit einer drastischen Aussage lässt Simone Strehle-Hechenberger, die Leiterin der ifs-Schuldenberatung aufhorchen: „Wir müssen Klienten regelmäßig von einem Privatkonkurs abraten.“ Aufgrund der massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten ist eine Entschuldung oft nicht mehr leistbar. Kommen Menschen mit dem Existenzminimum von 1030 Euro während der Entschuldungszeit von drei bis fünf Jahren nicht über die Runden, laufen sie Gefahr, sich eine Schuldenregulierung für lange Zeit zu verbauen.
Ein Rundruf der VN bei den Sozialeinrichtungen zeigt ein dramatisches Bild. Die Zahl jener, die Unterstützung benötigen, steigt kontinuierlich. Die Experten rechnen damit, dass der Höhepunkt noch längst nicht erreicht ist. Herbst und Winter dürften eine neuerliche Welle an Hilfesuchenden bringen. Ein Knackpunkt ist alle Jahre auch der Schulbeginn, der viele Familien teuer zu stehen kommt. Das Anti-Teuerungspaket des Bundes wird begrüßt, weil es die ärgste Not kurzfristig abfedert, vermisst werden jedoch Maßnahmen, die über Einmalzahlungen hinauswirken. Die Volkshilfe etwa fordert im Rahmen einer Petition die Einführung einer Kindergrundsicherung, andere die Valorisierung der Familienbeihilfe bzw. der Transferleistungen insgesamt.

DOMINIQUE MEYER, Volkshilfe Vorarlberg
Die Teuerung belastet sowohl Alleinerziehende als auch Familien. „Durch die Schulstartaktion werden jedes Jahr mehrere hundert betroffene schulpflichtige Kinder zum Schulanfang mit einem finanziellen Zuschuss unterstützt“, verweist Dominique Meyer von der Volkshilfe Vorarlberg auf die gerade laufende Aktion. Hilfe erhalten Familien, die mit ihrem Haushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen und keine Sozialhilfe beziehen. „Wir setzen uns zudem für die Einführung einer Kindergrundsicherung ein. Sie würde viele Familien mit geringerem Einkommen entlasten“, zeigt sich Meyer überzeugt. Dazu läuft auch eine Petition.

SIMONE STREHLE-HECHENBERGER, Leiterin der ifs-Schuldenberatung
Mit einem Satz, der die Dramatik der Teuerungsspirale unterstreicht, lässt Simone Strehle-Hechenberger aufhorchen. „Eine Privatinsolvenz muss man sich leisten können“, sagt die Leiterin der ifs-Schuldenberatung. Um nämlich ein Schuldenregulierungsverfahren einleiten zu können, muss das Ein- und Ausgabenverhältnis ausgeglichen sein. Das lässt sich durch die steigenden Lebenshaltungskosten, wobei vor allem das Wohnen ein starker Preistreiber ist, immer schwerer bewerkstelligen. Als Folge davon muss Klienten von einer Privatinsolvenz abgeraten werden. „Halten sie die drei bis fünf Jahre am Existenzminimum nicht durch, verbauen sie sich auf Jahrzehnte ein Schuldenregulierungsverfahren“, erklärt Strehle-Hechenberger. Umso wichtiger wäre eine Anhebung des Existenzminimums, das aktuell bei 1030 Euro liegt. Sie spricht sich auch dafür aus, Förderungen gezielter, aber dafür regelmäßiger auszuzahlen.

BARBARA FÜSSINGER, Kost-nix-Laden, Hard
Jeden Freitag öffnet Barbara Füssinger mit ihrem Team um 17 Uhr im Alma-Areal in Hard den Kost-nix-Laden. Auch dort ist ein verstärkter Zustrom zu verzeichnen, und da vor allem von ukrainischen Flüchtlingen. „Sie sind aktuell unsere Hauptkundschaft“, erzählt Füssinger. Leer werden die Regale trotzdem nicht. „Es gibt genug Nachschub“, versichert die engagierte Dame. Der Schulbeginn ist ebenfalls eine Zeit, in der sich Menschen vermehrt im Kost-nix-Laden einfinden. Ist eine besondere Notsituation gegeben, können Betroffene auch außerhalb der Öffnungszeit kommen. Demnächst bleibt die Einrichtung ein paar Wochen geschlossen. Grund ist die Winterware, die eingeräumt werden muss. Barbara Füssinger hofft, dass sie spätestens im Oktober wieder für die Menschen, die es brauchen, da sein kann.

MICHAEL HÄMMERLE, Leiter der Kaplan-Bonetti-Beratungsstelle
Wir verzeichnen eine deutliche Zunahme an Anfragen in der Beratung, besonders bei jenen Personen mit wenig Einkommen“, bestätigt der Leiter der Kaplan-Bonetti-Beratungsstelle und stellvertretende Geschäftsführer, Michael Hämmerle. Dabei stellt sich oft heraus, dass die Menschen gar nicht wissen, was ihnen an Unterstützung zusteht. Andere wiederum scheuen sich, Sozialleistungen zu beantragen. „Das ist vielfach noch mit Scham behaftet. Niemand zeigt gerne, dass er in finanziellen Nöten steckt.“ In der Statistik der Beratungsstelle sind für das vergangene Jahr 1218 Haushalte gelistet, die im Bezirk Dornbirn Unterstützung benötigten.

MARLIES MÜLLER, „Ma hilft“
Noch warten die Leute ab, vor allem, was mögliche weitere Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Teuerung betrifft. „Mit einer Zunahme an Anfragen ist aber sicher mit Schulbeginn zu rechnen“, weiß Marlis Müller, Patin der VN-Aktion „Ma hilft“, denn der gestaltet sich besonders für Alleinerziehende immer äußerst schwierig. Auch im Herbst steigt ihren Aussagen zufolge erfahrungsgemäß die Nachfrage nach Unterstützung.

CHRISTIAN BEISER, Leiter der Caritas-Beratungsstelle Existenz und Wohnen
„Es gibt mehr zu tun!“, bringt Christian Beiser, Leiter der Caritas-Beratungsstelle Existenz und Wohnen, die Situation in wenigen Worten auf den Punkt. Das Thema beschäftigt alle, zumal die Teuerung praktisch jeden Lebensbereich betrifft. „Da lässt sich kaum noch etwas kompensieren“, sagt er. Das Anti-Teuerungspaket des Bundes hilft laut Beiser durchaus, was fehle sei der Überblick, wann welches Geld kommt. Er anerkennt auch die abfedernde Wirkung von Einmalzahlungen, weist gleichzeitig jedoch darauf hin, dass sie ebenso bald verpuffen. Aus seiner Sicht ist eine Erhöhung der Nettoersatzrate im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld dringend geboten, und der Ausgleichszulagenrichtsatz müsste auf eine nennenswerte Größe angehoben werden. Ebenfalls not tue die Valorisierung der Familienbeihilfe. Mindestlohn? Das müsse man sich anschauen.

FERDINAND KOLLER, Dowas
Schon im ersten Halbjahr 2022 stieg die Zahl der Beratungen beim Dowas um 15 Prozent. Ferdinand Koller rechnet mit einer weiteren Zuspitzung: „Noch leben viele von ihren Ersparnissen oder leihen sich Geld, aber irgendwann geht das nicht mehr.“ Hilfe suchen mittlerweile auch Leute, die bislang gut mit ihrem Geld ausgekommen sind, es jetzt jedoch nicht mehr schaffen. Im Beratungsgespräch werden die Ansprüche geklärt und ob diese bereits ausgeschöpft sind. „Wir sondieren auch Einsparungspotenziale“, sagt Koller. Für kurzfristige Notlagen gibt es eine Überbrückungshilfe. Die Finanzhilfen von Bund und Land bewertet Koller als wichtig, Einmalzahlungen würden das Problem jedoch nicht lösen. Laut Koller müssen die Transferleistungen armutsfest gemacht werden.

ELMAR STÜTTLER, Tischlein-deck-dich
Um 30 Prozent mehr Bedürftige verzeichnet die von Russpreis-Träger Elmar Stüttler ins Leben gerufene Initiative „Tischlein deck dich“. Der Anstieg ist vor allem durch Flüchtlinge aus der Ukraine bedingt. „Vor Ausbruch des Kriegs hatten wir pro Woche etwa 530 Familien, jetzt sind es rund 1000“, verdeutlicht Stüttler. Ein Problem ist, dass Grundnahrungsmittel wie Reis, Mehl und Nudeln inzwischen zugekauft werden müssen, weil es aufgrund der langen Haltbarkeitsdauer kaum Ausschussware gibt. „Glücklicherweise erhalten wir einen Teil dieser Waren als Spenden aus der Bevölkerung, und dafür sind wir sehr dankbar“, betont Elmar Stüttler.