Hass in unserer Gesellschaft
„Der Hass – Anatomie eines elementaren Gefühls“ lautet das Thema des Philosophikums in Lech, das heute Abend eröffnet wird. Damit widmet sich diese ungemein erfolgreiche Denkveranstaltung, die bereits das 25. Mal stattfindet, einem zwar zeitlosen, aber gegenwärtig wieder sehr aktuell gewordenen Thema. Denn allen Hoffnungen zum Trotz ist der Hass in unserer aufgeklärten Gesellschaft nicht weniger geworden, er zeigt sich nur in neuer Form. Das Internet, voll von „Hate speech“ und hasserfüllten Postings, trieft geradezu von Hass. Hassprediger hetzen die Menschen auf und Hassbotschaften erweisen sich als das massenpsychologisch gefährlichste Instrument. Tagtäglich erleben wir Hass gegen Minderheiten, Flüchtlinge, Asylanten und Andersartige. Die in erschreckender Weise zunehmenden Frauenmorde sind zum Hassverbrechen schlechthin geworden und in der überfallenen Ukraine zeigt sich der Hass in seiner hässlichsten Form, im Krieg.
„Der Hass, das Gegenteil der Liebe, gehört zwar zur Grundausstattung der menschlichen Gefühlswelt, lässt an sich aber kaum gute Seiten entdecken.“
Der Hass, das Gegenteil der Liebe, gehört zwar zur Grundausstattung der menschlichen Gefühlswelt, lässt an sich aber kaum gute Seiten entdecken. Während Rache manchmal süß ist, Zorn sogar heilig sein kann, Wut manchmal gut tut – zumindest den Wütenden, weniger den Opfern – und konstruktiver Neid sich als guter Motivator erweist, zielt Hass nur auf Zerstörung ab. Hass ist die schlechteste Form der Aggressionsverarbeitung, die nie ein Gefühl der Erleichterung oder Befriedigung zurücklässt. Hass, meist aus vorenthaltener Liebe und ohnmächtiger Wut resultierend, ist ein mit Abscheu, Böswilligkeit und der Bereitschaft zur Schädigung der Mitmenschen verbundenes Gefühl, das letztlich auf Tod ausgerichtet ist.
Wenn nun Geistes- und Humanwissenschaftler am Arlberg drei Tage lang intensiv über Hass referieren und diskutieren, übernehmen sie nicht nur eine wichtige prophylaktische Aufgabe, sondern folgen einer alten Tradition. Denn die Philosophie hat sich immer schon viel mehr mit dem Hass beschäftigt als alle anderen Wissenschaftsdisziplinen. All die großen Denker sind zum Schluss gekommen, dass es gegen den gesellschaftlichen Hass nur ein wirksames Mittel gibt: Information, Transparenz und Aufklärung. Man muss den Hass seiner Faszination berauben und ihn als das darstellen, was er ist: Eine bösartige, kalte, schamlose, auf Vernichtung abzielende Emotion. In der evolutionären Entwicklung war Hass vielleicht im Überlebenskampf notwendig: Heute muss sich die kultivierte Menschheit aber von diesem grausamen Trieb endlich befreien.
Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut
und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.
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