Verwarnt
Dass Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit unendlichen Herausforderungen konfrontiert ist, von der Teuerung bis zur Energieversorgung, darf kein Grund sein, bei der Behebung eines „Wasserschadens“ nachlässig zu sein, „der an die Substanz unserer Demokratie geht“, wie es Bundespräsident Alexander Van der Bellen formuliert. Erstens: Demokratie bleibt essenziell. Zweitens: Gerade dann, wenn sich der Staat gezwungen sieht, Milliardenbeträge zu bewegen, besteht extreme Korruptionsgefahr, kommt es erst recht auf Rahmenbedingungen an, die möglichst saubere Verhältnisse garantieren.
Schon lange ist offensichtlich, wo es Handlungsbedarf gibt. Das „Ibiza-Video“ hat daran erinnert, dass Umgehungsmöglichkeiten bei der Parteienfinanzierung existieren; oder dass es strafrechtliche Lücken wie jene gibt, dass ein Politiker, der in Aussicht auf ein Amt Bestechlichkeit signalisiert, nichts zu befürchten hat. Konsequenzen darauf lassen jedoch bis heute zu wünschen übrig.
Der Anlass für Van der Bellen, diese Woche von einem demokratiegefährdenden „Wasserschaden“ zu sprechen, waren die Thomas-Schmid-Aussagen vor der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Er hat nicht nur Sebastian Kurz belastet, sondern etwa auch Wolfgang Sobotka und August Wöginger, der eine amtierender Nationalratspräsident, der andere ebensolcher Klubobmann im Parlament, allesamt ÖVP. Summa summarum erhärtet sich der Eindruck, „Politiker handelten zum Vorteil der eigenen Seilschaft, der eigenen sogenannten Verbündeten oder Vertrauten und auf Kosten der Gemeinschaft“ (Van der Bellen).
Insofern ist es verstörend, wie Nehammer reagiert: Er tut so, als wäre es sein Job, sich weiterhin allein um Antiteuerungspakete und die Energieversorgung zu kümmern. Natürlich betont er, „sehr ernst“ zu nehmen, was Van der Bellen sagt. Umso weniger aber dürfte er als Bundesobmann der Österreichischen Volkspartei durchgehen lassen, wie sich zum Beispiel Sobotka verhält. Dieser tut nicht nur was ihm zusteht und weist den Vorwurf von Schmid zurück, gegen Steuerprüfungen interveniert zu haben. Er bezeichnet Schmid darüber hinaus als „Baron Münchhausen“, also als Lügner, und zeigt damit auf einem unsagbar dummen Niveau exakt null Problembewusstsein.
Sollte sich nichts ändern, wird Van der Bellen in wenigen Monaten über die Entlassung der Regierung nachdenken müssen.
Das ist kein Zustand: Van der Bellen wird seinen Worten Taten folgen lassen müssen. De facto hat er eine Verwarnung ausgesprochen: Die Demokratie ist zu sanieren. Punkt. Dabei muss man auf keine Anklageerhebung und schon gar kein Urteil warten. Hier geht es nicht um Schuld oder Unschuld, sondern um vertrauensbildende Maßnahmen. Beziehungsweise darum, Voraussetzungen für mehr Sauberkeit zu schaffen und allfällige Neigungen zu üblen Machenschaften umfassend zu bekämpfen. Was zu tun ist, ist bekannt: Strengeres Korruptionsstrafrecht, Nachschärfung der Parteienfinanzierung, Objektivierung von Personalentscheidungen, Transparenz etc. Sollte die ÖVP da weiter blockieren und sollten die Grünen nicht von sich aus die Reißleine ziehen, wird Van der Bellen in wenigen Monaten über die Entlassung der Regierung nachdenken müssen. Den ersten Schritt dazu hat er gesetzt.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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