Fernseh-Rituale

Da saßen sie nun, die Obleute der drei größten Parteien. In Bilanzinterviews der ZiB 2. Alle drei angefressen, in unterschiedlicher Abstufung.
Pamela Rendi-Wagner, etwas gequält lächelnd, genervt vom Dauerthema über „Parteifreund“ Doskozil, den sie gleich von sich aus ins Spiel brachte, ohne dass Moderator Wolf danach gefragt hätte. Und möglicherweise in der Erkenntnis, für die Probleme unserer Zeit auch keine Lösung parat zu haben. Herbert Kickl, scheinbar ruhig, aber voll des Ärgers, dass er mit Geschmacklosigkeiten von Parteifreunden konfrontiert wurde, wie die Zeichnung, auf der ein Strichmännchen auf Klimaaktivisten pinkelt. Was er mit verkniffenem Gesicht schön zu reden versuchte. Karl Nehammer, der am wenigsten seinen Grant verbergen konnte. Echte Staatsmänner sehen anders aus. Allen drei hatten die jeweiligen Berater eingetrichtert, sie sollten, wenn es heikel wird, in die Offensive gehen. Rendi-Wagner an Wolf, der ihr Fehler vorgerechnet hatte: „Wie zielführend ist es, wenn wir ständig Mathematikstunden im Interview machen?“ Kickl verlangte von Wolf eine Erklärung, warum der Bundespräsident ihn wohl nicht als Kanzler angeloben würde. Und Nehammer warf Moderator Thür gar Falschbehauptungen vor (was nicht stimmte), und meinte, Thür solle doch nicht so sensibel sein.
Nun sind im Interview angriffslustige Politiker nichts Neues. Schon 1981 grantelte ein dünnhäutig gewordener Bruno Kreisky den ORF-Reporter Ulrich Brunner an („Lernen Sie Geschichte, Herr Redakteur“). In Deutschland war der langjährige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel für gelegentliche Attacken berüchtigt. Warum attackieren Politiker Interviewer vor laufender Kamera? Die Inszenierung ist vor allem für die eigenen Leute gedacht. Das gilt weniger für Rendi-Wagner, die vermutlich auch die Parteifreunde ratlos machte. Parallel zum Nehammer-Interview hatte die ÖVP ihre Funktionäre in die Ottakringer Brauerei eingeladen, die auf Großbildschirmen das Interview verfolgten und den Kanzler später mit Jubelrufen begrüßten. Bei Kickl kann man sich lebhaft vorstellen, dass sich die Parteigänger freudig auf die Schenkel klopften als der Obmann die Pinkel-Zeichnung einen „Versuch der Entschärfung“ nannte und gelegentliche Gesetzesbrüche akzeptierte.
Natürlich ist es das gute Recht von Politikern, sich zur Wehr zu setzen. Etwa wenn man in einer Fragestellung eine unzulässige Unterstellung zu erkennen glaubt. Aber Interviews, ob in den ARD-Tagesthemen, im ZDF-heute-Journal oder in der ZiB 2 sind beinahe Rituale. Frager und Befragte haben unterschiedliche Interessen. Die Politiker wollen eher nicht die Fragen beantworten, sondern Botschaften verkünden. Sie interessiert die Frage nicht, sie sind interessiert an der Fernseh-Präsenz. Die Interviewer stellen kritische Fragen, wollen Antworten und haken nach. Dass sie dabei oft unterbrechen müssen, ist ein zweischneidiges Schwert. Manche Zuschauer nehmen das als unhöflich wahr und wollen, dass man ausreden lässt. Aber wenn Herbert Kickl nach der Klimakrise gefragt wird, das eher nicht beantworten will und auf Arbeitsplätze und Wirtschaft wechselt, dann bleibt Armin Wolf gar nichts anderes übrig als zu unterbrechen. Legendär ist, wie vor zehn Jahren Frank Stronach partout nicht davon ablassen wollte, eine fünfminütige Erklärung zu verlesen und den ihn unterbrechenden Armin Wolf einen „Staatsangestellten“ nannte. Die deutsche Moderatorin Marietta Slomka spricht von der „Wortreich-Strategie“, also einen einfachen Zusammenhang sehr ausführlich zu beschreiben, dann bleibe dann nicht viel Platz fürs Nachfragen.
Die jüngsten ZiB 2-Auftritte tragen jedenfalls zur wachsenden Politikverdrossenheit bei. Das Blöde ist, dass den Dreien das offensichtlich nicht bewusst oder egal ist.
Wolfgang Burtscher
wolfgang.burtscher@vn.at
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.