Der Sohn einer ukrainischen Zwangsarbeiterin: “Es braucht einen Friedensstifter wie Jesus”

Der Krieg in der Ukraine bestürzt Otto Ohrmeier. “Es ist eine menschliche Tragödie.” Der Sohn einer ukrainischen Zwangsarbeiterin hat dort Verwandte.
Dornbirn “Hoi, du Russ.“ So begrüßten einige Mitschüler Otto Ohrmeier (72) in der Schule. Otto machte sich nichts draus. Denn: „Ich konnte ja nichts dafür, dass meine Mutter eine ukrainische Zwangsarbeiterin war.“ Im Frühling 1942 fuhren in dem Dorf, in dem Anna Holjacka lebte, zwei Panzer auf. Ein Kommandant der Deutschen Wehrmacht betrat das Haus und befahl Annas Mutter: „Packen Sie ihrer Tochter das Notwendigste zusammen. Denn sie geht jetzt in die Ferien.“ Anna sah ihre Mutter, ihren Vater und ihre fünf Geschwister nie wieder. Mit anderen Frauen wurde die 18-Jährige mit einem Zug nach Österreich deportiert.

In Vorarlberg übernahm sie ein Bauer aus Dornbirn als Arbeitssklavin. „Mama musste im Haushalt und in der Landwirtschaft mithelfen.“ Otto weiß, dass seine Mutter die Mahlzeiten am Familientisch einnehmen durfte. „Deswegen bekam der Bauer eine Verwarnung von den Behörden. Man verbot ihm, die Ukrainerin gut zu behandeln.“

Als der Krieg zu Ende und die Arbeitssklavinnen in ihre Heimat zurückgeschickt wurden, versteckte sich Anna auf dem Heuboden. „Das Gerücht ging um, dass den Zwangsarbeiterinnen Arbeitslager in Sibirien drohten. Deswegen blieb meine Mutter im Land, obwohl sie bedrückendes Heimweh hatte.“
1947 heiratete Anna Otto Ohrmeier, einen Bauern aus Dornbirn, der 15 Jahre älter war als sie. Mit ihm betrieb sie die große Landwirtschaft. Mit ihm gründete sie eine Familie. Der Ehe entsprangen drei Kinder.
Jugend-Landesmeister im Speerwerfen
Sohn Otto musste als Kind im Stall und auf dem Feld fest mithelfen. „Manchmal habe ich mich davongestohlen, um Fußball zu spielen.“ Mit 14 trat er dem Leichtathletikverein bei. Der sportliche junge Mann profilierte sich im Speerwerfen. Otto wurde mehrmals Jugend-Landesmeister. Einmal errang er sogar den Staatsmeistertitel. Sein Vater erlebte seine sportlichen Erfolge nicht mehr mit. Er starb an Krebs, als Otto 15 Jahre alt war. „Papa fehlte mir. Er lehrte mich viel, auch wie man Bäume schneidet.“


Beruflich verschlug es Otto in die Textilindustrie. Bei F.M. Hämmerle war er 25 Jahre lang in einer führenden Position im Versand tätig. Als die Textilbranche zu schwächeln begann, machte der Dornbirner sein Hobby zum Beruf. „Ich habe seit meinem 20. Lebensjahr Mineralien gesammelt. Alles, was die Erdkruste erschaffen hat, fasziniert mich. Edle Steine beeindrucken mich.“ Otto handelte nun mit Mineralien, verkaufte und kaufte sie. Zudem arbeitete er als Busfahrer für das Landeshörzentrum Vorarlberg.

Privat verlief sein Leben in ruhigen Bahnen. 1969 hatte er Irene, seine Lebensliebe, kennengelernt, im Stadion Birkenwiese in Dornbirn. „Ich habe ihr die Technik des Kugelstoßens gezeigt. Es war bei uns beiden Liebe auf den ersten Blick.“ Das Paar heiratete und bekam zwei Kinder. Auf seine Frau konnte er sich immer verlassen. Und auf seinen Körper auch. „Ich habe ihn immer sehr geforder, beim Sammeln von Mineralien und Pilzen und beim Sport. Wenn ich langlaufen ging, waren es nie unter 25 Kilometer.“

Otto war so gut wie nie krank. „Ich habe aber geahnt, dass mal was kommen wird“. 2015 wurde dem Pensionisten die Diagnose Parkinson gestellt. „Zuerst habe ich den Befund gar nicht angenommen. Ich dachte mir, dass ich gegen die Krankheit kämpfen und sie besiegen kann.“ Doch die unheilbare Nervenkrankheit tat, was sie wollte und sie schritt voran. Otto, der seinen Körper immer beherrschen wollte, musste zur Kenntnis nehmen, dass sein Leib jetzt ihn beherrscht. Wie noch nie erkannte er, dass man das Leben nicht kontrollieren kann und man niemals wirklich weiß, was als nächstes passiert.
Der Weg von der Ablehnung zur Annahme der Krankheit sei ein langer gewesen, sagt der 72-Jährige. Aber mittlerweile hat er sich seinem Schicksal ergeben und es in die Hände Gottes gelegt. Jeden Tag wendet er sich an die kleine Christusstatue in seinem Hobbyraum. Er bittet Jesus, auf ihn zu schauen. „Manchmal antwortet er mir. ,Sorge dich nicht, ich bin bei dir‘, höre ich ihn dann in meinem Geiste sagen.“ Otto schätzt Jesus Christus als Friedensstifter. „So einer müsste wieder kommen, der würde sich den Kriegstreibern entgegenstellen.“

Der Krieg in der Ukraine bestürzt ihn, auch weil dort noch Verwandte von ihm leben. “Es ist eine menschliche Tragödie.” Seine Mutter wäre noch betroffener gewesen als er, glaubt er: ,Sie hätte gesagt: ,Schon wieder Krieg.‘“ Anna Holjacka starb im Jahr 1985. Sie wurde 61 Jahre alt. „Einige Tage bevor Mama starb, bekam sie einen Brief von ihrer Schwester Olga. Mit ihr war sie über all die Jahre in Verbindung geblieben. Olga teilte ihr mit, dass der Vater verstorben sei. Mama las den Brief und weinte dann bitterlich“, erzählt ihr Sohn. Zuletzt hatte dieser sie weinen sehen, als er ein Bub war. „Nach einem Streit mit meinem Vater flüchtete Mama auf den Dachboden. Ich ging ihr nach und sah sie unter Tränen beten. Sie hatte sich neben den roten Koffer, mit dem sie einst aus ihrer Heimat gekommen war, niedergekniet.“
Otto Ohrmeier
geboren 13. September 1950 in Dornbirn
Familie verheiratet mit Irene, zwei Kinder, zwei Enkel
Hobbys leichte Gartenarbeit
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