Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

Blutgeld

Vorarlberg / 09.09.2023 • 06:29 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Der 5. Juni 2018 war ein schwarzer Tag: Im Beisein von Präsident Wladimir Putin und Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wurde ein verhängnisvolles Abhängigkeitsverhältnis vertraglich bekräftigt. Ergebnis: Österreich fühlt sich noch auf viele Jahre hinaus verpflichtet, Russland Gas abzukaufen.
Was das heute bedeutet, hat Martin Selmayr, quasi Botschafter der Europäischen Kommission in Wien, undiplomatisch, aber korrekt formuliert: Österreich finanziere so den Angriffskrieg auf die Ukraine mit. Es handle sich um „Blutgeld“, das mit der Gasrechnung nach Russland geschickt werde.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat sich im ORF-Sommergespräch anmerken lassen, dass ihm die zugrundeliegende Geschichte zumindest unangenehm ist. Trotzdem ist Selmayr nun ins Außenamt zitiert worden. Und trotzdem hat auch die Kommission in Brüssel wissen lassen, dass sie sich „von den bedauerlichen und unangemessenen Aussagen“ Selmayrs distanziere. Warum? Es kann höchstens darum gehen, dass er Höflichkeitsformen missachtet hat, die auf dieser Ebene üblich sind.

Österreich hat Waren im Wert von mehr als neun Milliarden Euro aus Russland importiert. Es kann damit leben, dass ein Teil in Putins Kriegskasse fließt.

Eine deutliche Sprache ist in diesem Fall jedoch notwendig: Seit Kriegsbeginn hat Österreich Waren im Wert von mehr als neun Milliarden Euro aus Russland importiert. Sprich: Summa summarum wurde dieser Betrag dorthin überwiesen. Gas war das wichtigste Gut. Es ist teurer geworden. Putin freut sich über das viele Geld, das dafür fließt.

Schon klar: Von heute auf morgen abstellen kann man das nicht. Weniger wegen der langfristigen Lieferverträge, mehr, weil man das Gas, das notwendig ist, um Betriebe am Laufen und Wohnungen warm zu halten, nicht auf einen Schlag anderswo beschaffen kann.

Österreich bringt aber nicht zum Ausdruck, hier wirklich ein Problem zu sehen. Was heißt Problem? Es ist ein Drama, von dem wohl noch kommende Generationen reden werden. Damit geht eine Stärkung eines Diktators einher, der ein Land (die Ukraine) mit Waffengewalt übernehmen möchte und die Sicherheit Europas gefährdet. Da müsste es eine Selbstverständlichkeit sein, dass vom Kanzler abwärts kein Sommerloch vorgegaukelt wird, das mit Scheindebatten über diverse Belanglosigkeiten zu stopfen ist; sondern dass man einen erheblichen Teil der Zeit allein der Frage widmet, wie man schneller aus dieser einen Sache rauskommt.

Warum unterlässt man das? Es entspricht einem Zugang zu so vielem, was außerhalb der Landesgrenzen passiert. Es hat seinen Ursprung in einem befremdlichen Neutralitätsverständnis. Neutral sein heißt demnach immer weniger, sich zum Beispiel mit Blauhelmen um eine friedliche Welt zu bemühen; es bedeutet zunehmend, sich bei Konflikten in jeglicher Hinsicht rauszuhalten, soweit es möglich ist, bzw. wirtschaftliche Beziehungen mit allen Parteien fortzusetzen, soweit es geht.

Daher bringt man es zusammen, einerseits Solidarität mit der Ukraine zu bekunden und andererseits damit zu leben, Geld in Putins Kriegskasse zu spülen. Und sich das vielleicht damit zurechtzureden, dass es Länder gibt, die das sogar mit steigender Tendenz für Flüssiggas machen. Besser macht das aber rein gar nichts.

Johannes Huber

johannes.huber@vn.at

Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.