Streit um NS-Luftschutzstollen in Feldkirch-Tisis: Wer ist Eigentümer?

Hickhack in der Eigentumsfrage des historischen Carinastollens in Feldkirch-Tisis zwischen Familie Reichart und Stadt Feldkirch. Dabei geht es um die Anerkennung des Stollens als NS-Superädifikat und mögliche Haftungsfragen.
Darum geht’s:
- Der Luftschutzstollen in Feldkirch-Tisis wurde nach einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg von Anwohnern selbst gebaut.
- Familie Reichart kämpft dafür, dass der Stollen als staatliches Eigentum anerkannt wird.
- Stadt Feldkirch sieht den Stollen als Privatinitiative und lehnt eine Übernahme ab. Historiker Wolfgang Weber sieht im Gegensatz dazu NS-Superädifikat-Status vorliegen.
Feldkirch Vor 80 Jahren, am 1. Oktober 1943, warfen US-amerikanische Bomber innerhalb von zwei Minuten 36 Sprengbomben über Tisis und Tosters ab. Der Angriff kostete 200 Menschen das Leben und forderte mindestens 100 Verletzte. 150 Gebäude wurden zerstört, sieben davon total.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.
Ein Stück Geschichte aus dieser Zeit ist auf dem Grundstück der Familie Reichart in Feldkirch-Tisis zu finden: Der Eingang zum Luftschutzstollen, in dem über 100 Menschen Schutz fanden. Denn die Bewohner des durch den Bombenangriff schwer getroffenen Viertels rund um die Tisner Dorfstraße und Carinagasse nahmen kurz nach dem Vorfall ihren eigenen Schutz selbst in die Hand. Angesichts des Traumas des Luftangriffs hatten sie das Vertrauen in den NS-Staat verloren. Mitte Oktober 1943 schlossen sich 37 Anwohner zu einer Selbsthilfegemeinschaft zusammen und begannen auf dem Hang in Tisis mit den Bauarbeiten für den sogenannten Carinastollen. Bis zum Kriegsende wurde der Stollen mehrfach in Anspruch genommen.

Haftungsfrage
Seit dem Kauf des Hauses im Jahr 2009 war der Familie der unterirdische Zeitzeuge bekannt, was damals kein Problem darstellte. Heute jedoch bringt der historische Stollen Familie Reichart in eine missliche Lage. Bauarbeiten und Sprengarbeiten in der Umgebung und deren Auswirkungen auf den bereits instabilen Hang des Grundstücks lassen die Reicharts wegen einer möglichen Haftung fürchten.


Über die Frage, wem der Stollen gehört, ist nun ein Streit entbrannt. Für Silvia und Edgar Reichart ist klar, dass es sich bei dem Stollen um staatliches Eigentum handelt. Sie kämpfen darum, dass der Carinastollen als sogenanntes NS-Superädifikat anerkannt wird: „Dann hätten wir gute Chancen auf eine Übernahme durch die Republik, die Bundesimmobiliengesellschaft wäre dann für den Luftschutzstollen zuständig”, erklärt Silvia Reichart. Das Ehepaar könnte sich vorstellen, dass die Öffnung der Stollenanlage zum Beispiel für Schulklassen erfolgt, als Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte.

Elf NSDAP-Mitglieder unter den Initiatoren
Für Historiker Wolfgang Weber ist aus historischer Sicht eindeutig belegbar, dass es sich bei dem Stollen um ein NS-Superädifikat handelt. Immerhin befanden sich unter den 37 Initiatoren des Stollens elf NSDAP-Mitglieder. Sie nahmen somit die Angelegenheit des Luftschutzes selbst in die Hand, als Antwort auf das Versagen des NS-Staates im Luftschutz: „Dies geschah in einer Weise, die rechtlich im NS-Staat nicht vorgesehen war”, erklärt Weber. Dennoch wurden sie nicht sanktioniert, vielmehr überzeugte ihre Eigeninitiative die Zentralverwaltung in Innsbruck, die wiederum die NS-Reichsregierung in Berlin dazu brachte, in Feldkirch drei weitere Stollen auf Staatskosten zu errichten.

Stadt zahlte für Stollen
Im Mai 1945, nach der Befreiung, bemühte sich die Selbsthilfegemeinschaft darum, den Carinastollen unter Berufung auf andere Luftschutzbauten in Feldkirch in öffentliches Eigentum zu überführen. Zusätzlich beantragten sie eine Rückerstattung der von ihnen vorab beglichenen Baukosten. Sie erhielten schließlich 70 Prozent dieser Kosten aus der Kasse der Stadt Feldkirch zurück. Der Antrag auf Übertragung in öffentliches Eigentum wurde jedoch abgelehnt. Die Stadt war der Auffassung, dass der Carinastollen keine staatliche Verantwortung darstelle, da er selbstorganisiert auf Privatgrund erbaut worden sei. „Das heißt, die Stadt Feldkirch hat damals der Selbsthilfegemeinschaft Geld aus Mitteln des Deutschen Reiches ausbezahlt und beharrt immer noch darauf, dass es ein privater Stollen sei“, erklärt Silvia Reichart.

80 Jahre später hat sich an der Rechtsauffassung der Stadt Feldkirch nichts geändert: „Aufgrund der uns aktuell vorliegenden Unterlagen wurde der Carinastollen als Privatinitiative von Bürgern errichtet und somit liegt kein nationalsozialistisches Superädifikat vor. Sollten neue Fakten bekannt werden, dann wird die Stadt Feldkirch diese einer Bewertung hinsichtlich des Vorliegens eines nationalsozialistischen Superädifikats unterziehen und in Abhängigkeit vom Ergebnis dieser Bewertung über die weitere Vorgangsweise entscheiden. Eine Einschätzung der Chancen einer Übernahme durch die Republik Österreich ist uns daher zum jetzigen Zeitpunkt beim besten Willen nicht möglich”, heißt es von Seiten der Stadt auf VN-Anfrage.
„Ihn als Privatinitiative abzutun, entspricht nicht der historischen Lebensrealität der Jahre 1943 bis 1945″, kontert Historiker Wolfgang Weber. Seiner Ansicht nach wird sich die Stadt Feldkirch entscheiden müssen, ob sie eine juristische oder eine politische Lösung eines historischen Erbes sucht.
