Wahljahr folgt auf turbulentes Jahr

Vorarlberg / 29.12.2023 • 18:38 Uhr

Europawahl, Nationalratswahl, Landtagswahl: 2024 warten viele Urnengänge.

Schwarzach Wenn Medien im kommenden Jahr etwas über einen Urnengang schreiben, dann ist die Chance groß, dass sich der Bericht nicht um eine Beerdigung dreht. Der Urnengang ist eine beliebte Floskel für Wahlen. Und Wahlen stehen im kommenden Jahr genug an. Es wartet ein turbulentes politisches Jahr auf Österreich. Wobei: Auch der Blick zurück lässt an Turbulenz nichts vermissen.

Die Bundespolitik startete staatsmännisch ins neue Jahr. Am 26. Jänner wurde Alexander Van der Bellen zu seiner zweiten Amtszeit angelobt. Kurz darauf wanderten Menschen erstmals an jene Urnen, die mit Stimmzetteln gefüllt werden. Am 29. Jänner wählten die Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher ihren neuen Landtag. Die ÖVP verlor, die FPÖ siegte – Schwarz-Blau regierte. Trotz gegenseitiger Koalitionsabsage vor der Wahl. Drei Monate später in Salzburg ein ähnliches Bild. Regierende ÖVP verliert, oppositionelle FPÖ gewinnt, beide arbeiten seitdem zusammen, obwohl das von der ÖVP zuvor ausgeschlossen wurde.

Die ÖVP erklärt die Niederlagen auch mit der Stimmung gegenüber der schwarz-grünen Bundesregierung. Das Gegenargument findet sich in der Urne des 5. März. SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser muss bei der Landtagswahl in Kärnten massive Verluste einstecken.

Wer weiß, ob das Debakel des SPÖ-internen Urnengangs am 3. Juni die Kärntner Landespartei ins oppositionelle Grab befördert hätte, wäre die Wahl danach gewesen. Da wählte die SPÖ Andreas Babler zum neuen Parteivorsitzenden. Das wussten die Sozialdemokraten allerdings erst zwei Tage später, denn der Urneninhalt – die Stimmzettel – sind in eine falsche Exceltabelle eingetragen worden. Zwei Tage lang fühlte sich Hans-Peter Doskozil als Parteichef.

Der Spott der anderen Parteien war gewiss – doch Karma kann ein gemeiner Zeitgenosse sein. ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer hat sich auf einer ÖVP-internen Veranstaltung dazu hinreißen lassen, salopp über Armut zu sprechen. Kein Kind in Österreich müsse auf eine warme Mahlzeit verzichten, einen Burger bei McDonalds könne sich jeder leisten, meinte er sinngemäß. „Burger-Gate“ war geboren. Politikwissenschaftler Peter Filzmaier glaubt nicht, dass diese zwei Debakel bei den kommenden Urnengängen zu Totengräbern der ÖVP und SPÖ werden. „Die Schlüsselfrage aus Sicht der Wähler lautet: Geht es mir wirtschaftlich und sozial subjektiv schlechter oder besser als 2019?“ Wenn mehr Menschen als bei der letzten Wahl meinen, ihnen ginge es schlechter, dann wäre das eine schlechte Nachricht für Bundeskanzler und Landeshauptleute.

In Vorarlberg haben sich vergangenes Jahr auch einige Parteien mit ihren Urnen beschäftigt – nicht als Ende, sondern im Sinne eines Neubeginns. Die Neos wählten am 4. Februar Claudia Gamon zu ihrer neuen Parteichefin. Die SPÖ ließ am 7. Oktober Mario Leiter zum Vorsitzenden küren. Dazwischen verkündete Landeshauptmann Markus Wallner von der ÖVP, dass er wieder antreten wird. Ihm könnten noch einige Themen einen gemütlichen Wahlkampf verderben. Die Wirtschaftsbundaffäre ist für ihn persönlich zwar ausgestanden, gegen Wallner wird nicht mehr ermittelt. Insgesamt gehen die Ermittlungen aber weiter.

Im August 2023 berichtete der Standard über den Siemens/KHBG-Skandal. Mitarbeiter verschiedener Unternehmen – unter anderem der Bauabteilung der Spitäler – sollen sich jahrelang über Scheinrechnungen ein Zubrot verdient haben. Die Ermittlungen laufen, im Wahljahr könnte sich herausstellen, ob der Skandal auf die KHBG zurückfällt, einem landesnahen Unternehmen in der Verantwortung des ÖVP-geführten Ressorts von Landesrätin Martina Rüscher. Die Abtreibungsfrage hat sie noch im Oktober klären können, Wallner muss sich also nicht vor diesem Wahlkampfthema fürchten.

In aktuellen, allerdings nur parteiinternen Umfragen liegt die Landes-ÖVP unter den 43 Prozent von 2019. Ihr Glück: Erste dürfte sie bleiben, sagt Filzmaier. Rechnerisch ginge sich dann zwar eine Mehrheit gegen die ÖVP aus, dass eine SPÖ oder die Grünen mit der FPÖ Wallner stürzen, ist allerdings kaum denkbar. „Im Bund ist eine Mehrheit gegen die ÖVP hingegen eher möglich“, sagt Filzmaier. Aber auch unwahrscheinlich.

Skandale, Untersuchungsausschüsse und mehrere Krisen sind für das Image der Politik nicht förderlich. „Wenn das Image der Parteien sinkt, ist es ihr Problem. Aber wenn wir auch ein Negativimage der Politik und der Demokratie insgesamt sehen, haben wir ein Problem“, warnt Filzmaier. „Bei allen politischen Gegensätzen sollte man alles dafür tun, dass sich das Misstrauen in die Demokratie nicht vergrößert.“ Damit auch im Superwahljahr trotz Urnengängen in Brüssel, Wien und Vorarlberg die Demokratie nicht beerdigt wird.

„Wenn wir ein Negativ­image der Politik und der Demokratie sehen, haben wir ein Problem.“