Wann die Behörde Familien Kinder wegnehmen muss

Bei Gefahr in Verzug gibt es keine Alternative zur Wegnahme. Rund 30 Mal jährlich passiert das in Vorarlberg.
Darum geht’s:
- Behörde darf Kinder wegnehmen, wenn Gefährdung vorliegt.
- Eingriffe in Familienautonomie sind letztes Mittel, müssen gut durchdacht sein.
- Meistens werden Fälle in Einverständnis mit Eltern gelöst, aber nicht immer.
Feldkirch Der Fall sorgte bundesweit für viele Diskussionen. Einer renommierten Wiener Rechtsanwältin wurden kurz nach der Geburt ihrer Drillinge die Kinder weggenommen. Begründung: Die Mutter sei überfordert, eine adäquate Versorgung sei nicht gewährleistet, es liege eine Gefährdung der Kinder vor. Die Polizei holte die Säuglinge schließlich aus der Wohnung der Anwältin. Wenige Tage später bekam sie ihre Kinder zwar wieder zurück, die Aufregung über die Amtshandlung wollte jedoch so schnell nicht weichen.

Gefahr in Verzug
Dass Eltern Kinder auf Anordnung von Behörden weggenommen werden, ist freilich kein Einzelfall. Auch nicht in Vorarlberg, wie Kinder- und Jugendanwalt Christian Netzer bestätigt. „Es ist dies allerdings die ultimative Maßnahme einer Behörde. Sie ist zu diesem Schritt gezwungen, wenn Gefahr in Verzug wahrgenommen wird. Dann kann sie diese Maßnahme ohne gerichtlichen Beschluss sofort verfügen“, erklärt Kinder- und Jugendanwalt Christian Netzer. Das sogenannte Obsorgeentzugsverfahren findet in solchen Fällen später statt.
Schwierige Gratwanderung
Wann soll eine Behörde in welcher Form bei Familien eingreifen? Diese Frage ist so schwierig, wie die Antwort bedacht und verantwortungsbewusst ausfallen muss. „Eingriffe in die Familienautonomie sind das letzte Mittel einer Behörde. Diese müssen gut durchdacht sein“, betont Netzer.

Nach dem Drama um den damals dreijährigen Cain, der vor fast genau 13 Jahren vom Partner seiner Mutter totgeprügelt wurde, hat Vorarlberg die Jugend- und Kinderhilfe auf den Prüfstand gestellt und auch gesetzlich neu verankert. „Bei allem, was getan wird, steht der Kontakt mit den Eltern an erster Stelle. Und es geht bei der Setzung von Maßnahmen vor allem auch um eine Zukunftsprognose“, sagt Netzer. Gründe für ein hartes Durchgreifen der Behörde sind körperliche Gewalt, sexuelle Gewalt, psychische Gewalt, das Miterleben von Gewalt, gesundheitliche Gefährdung, Verwahrlosung oder Ablehnung des Kindes.
90 Prozent einvernehmlich
Andrea Burtscher, Leiterin der Kinder- und Jugendhilfe Vorarlberg, hält fest, dass „über 90 Prozent aller Fälle mit ernsthaften Problemen in Familien mit Kindern und Jugendlichen im Einverständnis mit den Eltern gelöst werden können“. Heißt etwa: Eltern sind einverstanden, dass ihre Kinder länger oder auch nur vorübergehend in behördliche Obhut kommen. Das kann in Wohngemeinschaften oder bei Pflegeeltern sein.
Im Jahre 2022 mussten aber auch circa 30 Kinder ohne Einverständnis der Eltern wegen Gefahr in Verzugs diesen behördlich entrissen werden. „Das passiert, wenn das Kindeswohl gefährdet ist und Eltern sich bezüglich notwendiger Maßnahmen völlig uneinsichtig zeigen“, erklärt die Expertin.