Mit dem Schicksal noch nicht ganz ausgesöhnt

Vorarlberg / 16.02.2024 • 14:35 Uhr
Helga Fink (Mitte) mit ihrer Betreuerin Dolores Nussbaumer und ihrem ehemaligen Betreuer Danilo Lemp.
Helga Fink (Mitte) mit ihrer Betreuerin Dolores Nussbaumer und ihrem ehemaligen Betreuer Danilo Lemp.

Ihr Start ins Leben war dramatisch. Helga Fink überlebte knapp, muss seitdem aber mit einer Behinderung durchs Leben gehen. Jetzt hat die 70-Jährige ihr Leben niedergeschrieben.

Hörbranz Helga Fink (70) lebt seit 14 Jahren im Wohnheim der Lebenshilfe in Hörbranz. Sie trauert gerade um Trudi, eine ihrer Mitbewohnerinnen, die vor wenigen Wochen verstorben ist. Wie Helga hatte auch Trudi eine spastische Lähmung. Sie war im Jahr 1938 geboren worden. Ihre Eltern mussten sie vor den Nationalsozialisten verstecken, damit sie nicht der Euthanasie zum Opfer fiel.

Den guten Humor hat Helga von ihrem Vater geerbt.
Den guten Humor hat Helga von ihrem Vater geerbt.

Helga ist froh, dass sie nicht während der NS-Zeit, sondern später geboren wurde. Die gebürtige Lochauerin kam 1953 zur Welt. Eine unbehandelte Rhesusunverträglichkeit mit Antikörperbildung führte bei dem Baby zu einer Zerebralparese – die Erkrankung beeinflusst die Körperbewegungen und die Muskelkoordination eines Menschen. Nach der Geburt stand es Spitz auf Knopf um Helga, weil der nötige Blutaustausch zu spät – erst am sechsten Tag – gemacht wurde.

Helga Fink als süßes Kleinkind.
Helga Fink als süßes Kleinkind.

Das Kind überlebte, aber seither geht Helga mit einer Behinderung durchs Leben. „Ich krabbelte am Boden bis zu meinem sechsten Lebensjahr. Erst dann konnte ich gehen, aber nur ganz steif.“ Ihr Vater baute einen Puppenwagen für sie, damit sie sich an ihm festhalten konnte. „Im Puppenwagen lag eine schwere Platte. So habe ich laufen gelernt.“ Der Wagen war ihre Stütze bis zum 16. Lebensjahr. Ein Arzt prophezeite den Eltern, dass Helga über kurz oder lang im Rollstuhl landen würde. Und er behielt recht. Seit dem 56. Lebensjahr ist Helga auf den Rollstuhl angewiesen.

Helga mit ihrem Bruder Peter. Mit dem Puppenwagen lernte sie laufen.
Helga mit ihrem Bruder Peter. Mit dem Puppenwagen lernte sie laufen.

Ihre Mutter und ihr Vater versuchten sie so gut wie möglich zu fördern. Als sie zehn Jahre alt war, gaben sie Helga, die auch an einer Sprechstörung leidet, in ein Sprachheilheim. „Wir haben dort gezeichnet, gelesen und Spaziergänge gemacht. Es gab nur Holzspielzeug. Deshalb hatte ich immer Splitter in meinen Händen.“ Helga besuchte auch die Sonderschule und eine Hauswirtschaftsschule. „Dort habe ich dann gelernt zu kochen, zu rechnen, zu lesen und zu schreiben.“

Als junge Frau stickte Helga gerne. Sie fertigte unter anderem Kissen, (Wand-)Teppiche und Tischdecken an.
Als junge Frau stickte Helga gerne. Sie fertigte unter anderem Kissen, (Wand-)Teppiche und Tischdecken an.

Mit Anfang 20 schnupperte Helga erstmals in die Arbeitswelt. Die junge Frau arbeitete fünf Monate lang in einem Kindergarten. „Die Arbeit mit den Kindern gefiel mir. Bis heute denke ich gerne daran. Leider bekam ich keinen Lohn im Kindergarten. Deshalb hat mich meine Mama wieder nach Hause geholt.“ Zu Hause musste Helga im Haushalt und im Garten mithelfen. „Wir hatten auch mehrere Gästezimmer. Ich habe sie sauber gemacht. Zum Frühstück habe ich die Gäste manchmal bedient. Ab und zu habe ich Trinkgeld oder Geschenke bekommen. Das hat mich sehr gefreut.“ 1978 begann Helga in einer der Werkstätten der Lebenshilfe zu arbeiten. Das tat sie mit Freude bis zu ihrer Pensionierung im Vorjahr.

Helga Fink macht gerne Puzzles.
Helga Fink macht gerne Puzzles.

Der Neo-Rentnerin geht die Arbeit aber nicht ab. Sie weiß sich in der Pension zu beschäftigen. Helga macht gerne Puzzles. „Meine größte Herausforderung war ein Puzzle mit 1500 Teilen – ein Bild der Mona Lisa.“ Die 70-Jährige liest auch gerne, besonders mag sie die Conni-Bilderbücher. „Das sind Kinderbücher. Aber das ist mir egal, Hauptsache, sie gefallen mir.“ Im Fernsehen schaut sich Helga gerne Krimis und Tierfilme an. Wenn Katzen über den Bildschirm flimmern, wird ihr das Herz ganz schwer. Dann muss Helga unweigerlich an ihren Kater Schnupi denken. „Schnupi ist immer zu mir gekommen. Er wollte, dass ich ihn streichle. Mit 12 Jahren ist Schnupi krank geworden, wir mussten ihn einschläfern lassen. Das hat mir das Herz gebrochen, denn ich habe meinen Schnupi geliebt.“

Helga mit ihrem geliebten Kater Schnupi.
Helga mit ihrem geliebten Kater Schnupi.

Mit 70 ist Helga in einem Alter, in dem man sein Leben überdenkt. Ihre Reflexionen über die Vergangenheit regten sie dazu an, ihr Leben in einfachen Worten niederzuschreiben. Dabei floss so manche Träne. Denn ganz ausgesöhnt ist Helga mit ihrem Schicksal (noch) nicht. Dass sie zum Beispiel im Jahr 2010 ihre Wohnung und damit ihre Unabhängigkeit nach 19 Jahren wegen einer Erkrankung aufgeben musste, bedauert sie noch heute. Nicht, dass sie es nicht gut hätte im Wohnheim der Lebenshilfe. Aber es vermittelte ihr ein gutes Gefühl, das Leben allein bewältigen zu können. Andererseits ist sie froh, dass sie jetzt, im Alter, die Unterstützung bekommt, die sie braucht. Wohl auch deshalb kann sich die Frau mit dem Handicap vorstellen, richtig alt zu werden. „Ich möchte noch mindestens zehn Jahre leben.“   

Die zwei verstehen sich. Helga mit ihrer Betreuerin Alena. Diese unterstützte Helga beim Niederschreiben ihrer Lebenserinnerungen.
Die zwei verstehen sich. Helga mit ihrer Betreuerin Alena. Diese unterstützte Helga beim Niederschreiben ihrer Lebenserinnerungen.

Am Samstag, 17. Februar (ab 14 Uhr) stellt Helga Fink ihre Autobiografie im Lebenshilfe-Wohnhaus in Hörbranz vor. Anmeldung erbeten unter Tel.: 0660/6677950.

Das Buch „Mein Leben“ ist erhältlich in den Brockenhäuser der Lebenshilfe in Lochau und Sulz. Es kann auch im Wohnhaus Hörbranz für einen Unkostenbeitrag von zehn Euro bestellt werden.