ÖVP gegen die Ärmsten

Die Regierungskoalition aus ÖVP und Grüne ist angetreten mit dem Ziel, den Anteil der armutsgefährdeten Menschen in Österreich zu halbieren. Dieses Vorhaben war engagiert und richtig, sollte es doch in einem so reichen Land wie Österreich kaum Armut geben. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung hat. Das sind bei einer alleinstehenden Person derzeit rund 1400 Euro monatlich. In Österreich betrifft das rund 14,8 Prozent der Bevölkerung. Als tatsächlich arm gelten bei uns rund 200.000 Menschen. Für diese beiden Gruppen wurde von der Regierung viel Geld in die Hand genommen. Beispielsweise bei Familienleistungen, Heizkostenzuschuss oder anderen Leistungen wurde einiges getan, und vor allem wurden die Sozialleistungen indexiert. Letzteres hilft jetzt angesichts der hohen Teuerung den einkommensschwachen Menschen ebenso wie die Abschaffung der kalten Progression.
„Die geplante Senkung des Arbeitslosengeldes ist eine echte Bösartigkeit.“
Mit dem Erfolg, dass die Quote der armutsgefährdeten Menschen von 19,2 Prozent im Jahre 2014 stetig sank und heute bei 14,8 Prozent liegt. So weit, so gut, nur kommt jetzt ausgerechnet der von der Regierung gerne als Experte bezeichnete Wirtschaftsminister Kocher und will das Arbeitslosengeld kürzen. Zur Erinnerung: Im Falle einer Arbeitslosigkeit beträgt die Entschädigung 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens, in einigen Fällen auch weniger. Deshalb sind viele Arbeitslose auch armutsgefährdet. Wer aktiv beispielsweise monatlich 3000 Euro brutto, rund 2400 netto, verdient hat, erhält im Falle von Arbeitslosigkeit 1333 Euro netto. Mit dieser Ersatzleistung liegt Österreich am unteren Ende der europäischen Länder: In der Schweiz sind es 70, in Deutschland 60 und 90 Prozent in Dänemark. Dass Kocher unser System ändern will und mit einem degressiven Verlauf mehr Anreize zur raschen Wiederaufnahme einer Erwerbsarbeit schaffen will, ist grundsätzlich in Ordnung.
Er aber will nur das Einstiegsniveau auf den schon derzeit beschämend niedrigen 55 Prozent belassen, um es danach sogar auf unter 50 % zu senken. Das ist eine echte Bösartigkeit gegen die Arbeitslosen, deren Einkommen aufgrund der enormen Teuerung beim Wohnen und den Lebensmitteln jetzt schon laufend erheblich an Wert verliert. Eine Volkspartei, die auf dem Rücken der Schwächsten um die Wählergunst ringt, darf sich nicht wundern, wenn ihr auch die in Beschäftigung befindlichen Arbeitnehmer nicht folgen, weil diese letztlich auch wissen, dass das Schicksal Arbeitslosigkeit jeden, jederzeit treffen kann.
Rainer Keckeis ist ehemaliger AK-Direktor Vorarlberg und früherer Feldkircher VP-Stadtrat.