Der Höhlenmaler

Vorarlberg / 05.06.2024 • 10:00 Uhr
Der Höhlenmaler

Er war schon immer ein Höhlenmaler gewesen, schon damals, als er aus der Mutter herausgeflutscht war, nur wusste das noch keiner. Als Bub kroch er durch den Wald, hinein in Höhlen, roch das Feuchte, Modrige und fühlte sich daheim.

Viele Berufe übte er aus, bis es endlich aus ihm herausbrach und wie seine Befreiung war. Er wusste noch nicht, was es werden würde. Er bespannte Leinwände, leerte Wein darüber und Kaffee, zerrieb Erde und Kräuter und malte damit. Er verwendete die Ölkreiden seiner Kinder und schmierte damit auf die Leinwände. Ohne Gedanken legte er sich auf den Boden und bemalte die Flächen. Er wunderte sich, was geschah. Er strich und malte und schmierte. Es gab merkwürdige Gebilde, die aussahen, als hätten Kleinkinder Menschen gemalt. Er konnte nicht malen. Er hatte es nie gelernt. Motive aus seiner Kindheit kamen auf die Leinwand, Erinnerungen an den Katechismus. Den Katechismus hatte er immer geliebt. Die naiven Zeichnungen. Ein brennender Dornbusch kam auf das Bild. Er wusste, was wahr, gut und schön ist.

Viele Berufe übte er aus, bis es endlich aus ihm herausbrach und wie seine Befreiung war.

Der Höhlenmaler hatte einen Keller gemietet. Seiner Frau sagte er, er repariere Elektrogeräte, dafür war er auch bekannt. Leute brachten ihre kaputten Geräte zu ihm und stellten sie vor dem Keller ab. Damit verdiente er Geld. Er brauchte nicht viel. Seine Frau war durch eine Erbschaft wohlhabend geworden. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte er keine Dienstleistungen verrichten müssen. Arbeit im eignen Garten hätte ihr genügt.

Einmal besuchte sie ihn in der Werkstatt. Sie sah die großen Bilder, größer als ihr Ehebett, und sie erschrak.

„Hast du das gemalt!“, rief sie aus „Du bist ein Künstler. Ich habe nicht gewusst, dass du ein Künstler bist. Warum sagst du mir das nicht!”
Sie betrachtete die Bilder und war so betroffen, dass sie sich auf den Boden fallen ließ.
„Das müssen alle sehen“, rief sie und schluchzte. „So etwas darf man der Welt nicht vorenthalten.“

„Ich male für mich, und wenn es dir gefällt auch für dich, aber nicht für die draußen. Man würde mich auslachen.“

„Die Leute, die etwas von Kunst verstehen, wären begeistert, das spüre sogar ich, wo ich doch nichts von Kunst verstehe.“

Ohne sein Einverständnis fotografierte sie an einem Nachmittag die Bilder, zu denen sie Kunstwerke sagte. Sie zeigte die Fotos ihrer Freundin, die sie im Orginal sehen wollte. Bald kam ein Galerist und sah sich die Bilder an. Nichts davon wusste der Höhlenmaler. Als er davon erfuhr, wurde er zornig und traurig, mehr traurig als zornig. Man hatte es ihm genommen.

„Ihr habt mir alles verdorben“, sagte er, „und jetzt werde ich nur mehr alte Radios, Fernseher und Waschmaschinen reparieren.“

Monika Helfer

monika.helfer@vn.at

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.