Doris Knecht

Kommentar

Doris Knecht

Sachen von der Seele lachen

Vorarlberg / 23.07.2024 • 08:20 Uhr

Es ist mir ein bisschen peinlich, aber ich habe mir „Kaulitz & Kaulitz angesehen, die Netflix-Doku-Serie über die Tokio-Hotel-Zwillinge; wers kennt. Aber so viele Millionen Alben wie die verkauft haben, kennts jeder.

Es ist zwecks der Zwillingsstudie! Und es ist die ideale Serie, wenn man übrige Zeit totzuschlagen hat.“

Wir saßen im Zug nach Feldkirch, der Zug hatte endlose Verspätung, wie das jetzt oft so ist. Zwei Stunden insgesamt, die Reisenden nach Zürich, von denen wir zum Glück keine waren, wurden im Buchs aus dem Zug expediert, weil durch die Verspätung ließen die Schweizer den Railjet dort nicht weiterfahren. Unlängst wartete eine Freundin mitten in der Nacht am traurigen Meidlinger Bahnhof zwei Stunden auf einen Nightjet Richtung Bregenz und ihre Schlafkabine darin. Ein befreundetes, über achtzigjähriges Paar, hatte zwischen Feldkirch und Wien mehr als zwei Stunden Verspätung. So schlimm wars noch nie mit den ÖBB.

Jedenfalls in meinem verspäteten Zug las ich etwas über die Kaulitz-Zwillinge setzte mir den Kopfhörer auf und streamte es unter dem Augenrollen meiner Zwillinge, die mich natürlich dabei erwischten.

Es ist zwecks der Zwillingsstudie! Und es ist die ideale Serie, wenn man übrige Zeit totzuschlagen hat. Ja! Ich weiß es doch! Etwas derartiges wie übrige Zeit existiert nicht! Vor allem nicht für eine Autorin.

Aber man muss zwischendurch auch mal abschalten und ganz leer werden. Dafür waren Kaulitz & Kaulitz ideal, zumindest dachte ich das, und wurde überrascht. Ich kannte die ja nur so ganz aus der Ferne, als Teenie-Stars fern vom eigenen Dasein, zu jung für mich, zu alt für die Kinder, merkwürdige Figuren irgendwie.

Und jetzt? Jetzt waren mir die sympathisch.
In erster Linie mal, weil die so lieb zueinander sind. Rufen sich gegenseitig „Maus“, nicht ironisch, ganz selbstverständlich. Und sie können so schön lachen, richtig laut lachen, offenbar haben sie das früh gelernt: sich Sachen von der Seele lachen, zum Beispiel den Hass, der sich an ihnen entlädt.

Natürlich: Die Kaulitz-Zwillinge sind nicht von dieser Welt, ihr Aufwachsen als Superstars hat sie zu Aliens gemacht. Aber es sind sehr freundliche Aliens, reizend in ihrer Unterschiedlichkeit: Wie können zwei Menschen, die in einem Ei ausgebrütet wurden, so verschieden sein? Der fast spießige Familienmensch Tom, der am liebsten zuhause bei Frau und Kindern grillt, und der schwule Party-Bill, der nur in Gesellschaft aufladen kann. Wobei Bills Style-Attitude wirklich ikonisch sein sollte, denn ihm ist tatsächlich egal, was andere von seinem Aufzug denken: Hauptsache ER gefällt sich. Davon kann man was lernen.

Und wenn Bill die Hater-Kommentare weglachen kann: dann schaffe ich das wohl auch mit einer Zug-Verspätung.

Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.