Hab ich gefunden – 7
Diese Geschichte erzählte eine Frau und erlaubte mir, sie aufzuschreiben.
Walli redete weiter. Der Neffe des Ziehvaters sei mit ihr zum Notar gegangen. Sie war ja erst fünfzehn. Der Neffe habe mehr geerbt als sie. Aber sie dennoch genug. Sie brauchte aber einen Vormund. Dazu wurde der Neffe bestimmt. Sagte sie. Arnold sei sein Name. Arnold war diskret und freundlich zu Walli. Er lebte von nun an mit ihr in der Frankfurter Wohnung. Sie wusste nichts über ihn, und er wusste nichts über sie. Keiner habe gefragt. Oft war Arnold unterwegs. Er meldete Walli in der Schule an. Sie habe gehofft, bald eine Freundin zu finden. Sie war zu scheu, um ihrer Banknachbarin die Wahrheit zu sagen. Also erfand sie sich eine normale Familie mit Mutter und Vater und drei Brüdern. Sie hatte ja wirklich drei Brüder gehabt. Wo waren die? So gern hätte sie die drei bei sich gehabt. Besonders die Zwillinge.
„Die sind jetzt Männer“, sagte sie zu mir.
„Irgendwann stand eine Frau vor der Wohnungstür und sagte, sie sei mit Arnold verheiratet.“
Über einen Monat lang sah sie Arnold gar nicht. Oder kaum. Er kam spät nach Hause und schlief noch, als sie zur Schule ging. Dann gab es eine Zeit, wo er sich nur mehr in der Wohnung aufhielt. Er half Walli bei den Hausaufgaben und zeigte ein Interesse, das ihr nicht gefiel. Er habe Sex mit ihr gewollt, und weil sie sich weigerte, wurde er ungeduldig und ihr Leben bedrohlich. Ihm immer aus dem Weg zu gehen, war nicht möglich. Sie habe sich gedacht, hab ich eben Sex mit ihm, und wenn er schläft, bringe ich ihn um. Sie würde die gesamten Medikamente ihrer Ziehmutter zerstampfen und unter sein Essen mischen.
Irgendwann stand eine Frau vor der Wohnungstür und sagte, sie sei mit Arnold verheiratet. Die Frau zog ein und tat, als wäre das ihr Zuhause. Und tat, als wäre Walli eine entfernte Verwandte. So ging das ein Jahr. Sagte sie. In der Nacht schlich sich Arnold zu Walli und schlief mit ihr. Sie hielt es nicht mehr aus, und als einmal allein war, zählte sie ihr Geld, ging zum Bahnhof und kaufte eine Fahrkarte. Alles wiederholt sich, habe sie gedacht.
„Wohin hätte ich gehen können, ich kannte ja niemanden. Nur du bist mir eingefallen, Tante. Aber das Schlimmste kommt noch: Ich fürchte, ich bin schwanger. Was soll ich tun, Tante? Bitte! Ich hätte gern ein Kind, das wäre etwas, das mir allein gehört.“
Ich sagte: „Walli … ich hoffe, du heißt wenigstens Walli … ich frage dich noch einmal: Ist das alles wahr, was du mir erzählt hast?“
Wie es weitergeht, erfahren Sie nächsten Mittwoch an derselben Stelle.
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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