Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Hab ich gefunden – 8

Vorarlberg / 12.09.2024 • 07:15 Uhr

Diese Geschichte erzählte eine Frau und erlaubte mir, sie aufzuschreiben.

Von dem was einer ist. Daran dachte ich, konnte nicht schlafen, und plötzlich sah ich es klar vor mir. Walli hat mich um den Finger gewickelt. Das ist eine harmlose Redensart. Ich hatte Mitleid mit ihr gehabt. Ich dachte, ich könnte die sein, die sie rettet.

„Ich weckte sie, bemühte mich, breitbeinig vor ihr zu stehen, das Messer hielt ich im Rücken versteckt.“

Von dem was einer ist. Jeder sieht im andern nur so viel, wie er selbst ist. Ich bin die Dumme gewesen und habe in ihr die Dumme gesehen. Nun sehe ich in ihr nur mehr die Lügnerin.

Ich glaubte ihr von nun an kein Wort mehr. Wenn sie am Abend sagte, sie sei zu müde, um sich abzuschminken, glaubte ich ihr nicht, und am nächsten Morgen, wenn sie im Bad war, kontrollierte ich ihr Kopfkissen, es war sauber, ohne Schminkflecken. Wenn sie sagte, sie bete zum heiligen Antonius, glaubte ich ihr nicht. Ich sah mir ihre Hände an, immer noch Patschhändchen, und ich konnte sie mir gefaltet nicht vorstellen. Wenn sie sagte, sie mag Honig, glaubte ich ihr nicht, und wenn sie sagte, ich tue zu viel Salz in den Salat, glaubte ich ihr nicht und tat noch mehr Salz hinein, und sie aß eine ganze Schüssel.

Ich überlegte, meinen Sohn anzurufen, ihm alles zu sagen, zu beichten und ihn zu bitten, mir zu helfen. Er würde mich auslachen. Typisch Mama, würde er sagen, du siehst nur und hörst nur und denkst nicht. Das kannst du ihr doch nicht geglaubt haben! Adoption von Fremden ohne jede Recherche, Erbe von Fremden ohne jede Recherche, dann noch Vergewaltigung und schwanger auch noch! Aber sie hat mir so leid getan, würde ich sagen. Und er: Gutes tun ist eine Art von Eigenliebe. Und ich: Aber du, du tust mir doch auch Gutes, immer wieder, ich liebe dich. Und er würde sagen: Ich dich auch, Mama, ich dich auch.

Walli blieb den Tag über zu Hause. Als warte sie auf etwas. Warf mir Blicke zu. Mittags schlief sie. Wie ein Baby. Auch das ist gelogen, dachte ich. Ich durchsuchte ihren Rucksack. Ganz unten in einer Falte fand ich ein Messer. Ein gefährliches Messer. Eines mit einem Knopf am Griff, wenn man draufdrückt, springt die Klinge heraus.

Ich weckte sie, bemühte mich, breitbeinig vor ihr zu stehen, das Messer hielt ich im Rücken versteckt.

Ich sagte: „Walli, du musst ausziehen. Ich habe ein Telefonat bekommen. Eine gute Nachricht, die aber auch eine schlechte Nachricht sein könnte. Ich warte nämlich schon lange auf einen Operationstermin. Nun habe ich einen bekommen. Nach der Operation muss ich auf Reha. Ich werde einen Monat lang oder noch länger nicht zu Hause sein. Du musst ausziehen.“

Sie war nicht überrascht. Sie blickte mich an, als hätte sie genau darauf gewartet.
„Sicher nicht“, sagte sie. „Ich bleibe. Ich jedenfalls bleibe.“

Wie es weitergeht, erfahren Sie nächsten Mittwoch an derselben Stelle.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.