Hinschauen
Die FPÖ mit Herbert Kickl auf Platz eins, wie kann das sein? Immerhin möchte Kickl autoritär regieren wie sein Vorbild Viktor Orban, bietet er sich als „Volkskanzler“ an, der Andersdenkende als „Volksverräter“ bezeichnet und mit Fahndungslisten arbeitet.
Gerade weil er damit dem Geist der Verfassung des demokratischen Rechtsstaates widerspricht, gibt es Gründe, darüber nachzudenken, ob es wirklich klug wäre, ihn halt regieren und zeigen zu lassen, was er kann, wie viele meinen. Auf der anderen Seite muss man sich der Frage stellen, was falsch läuft, dass es zu einem solchen Wahlergebnis kommen kann. Sonst holt Kickl morgen die Absolute.
„Erst allmählich wird sichtbar, was passiert. Es treibt mehr als ein Viertel der Wähler zur FPÖ.“
Wesentlich ist, was mit all den Krisen einhergeht: Eine Entfremdung zwischen Teilen der Politik sowie mehr und mehr Menschen. Politik verwechselt ihre Aufgabe unbeirrt weiter zu sehr mit PR. Was in diesem Fall dafür steht, sich Umstände schönzureden. Das Ergebnis sind Sprüche wie: „Wir sind gut durch die Krise gekommen.“ Oder: „Trotz Teuerung ist die Kaufkraft erhalten geblieben.“ Das waren und sind klassische Botschaften von Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Noch-Kanzler Karl Nehammer (beide ÖVP).
Weit davon entfernt sind Wahrnehmungen vieler Bürger. Gut durch die Coronakrise gekommen? Sie mögen den Lockdown für Ungeimpfte und den Impfpflichtbeschluss auf Geheiß der Landeshauptleute nicht vergessen. Kaufkraft? Fast die Hälfte der Österreicher findet, dass der Lebensstandard sinkt. Es kommt zu Abstiegsängsten bis weit in die Mitte hinein. Das eine oder andere kann unbegründet sein. Ignorieren geht jedoch gar nicht.
Der Sozialforscher Christoph Hofinger hat in den VN schon vor über einem Jahr darauf hingewiesen: Wie einst Jörg Haider punktet Herbert Kickl etwa bei Facharbeitern, also klassischen Angehörigen der erwähnten Mitte, in der Abstiegsängste existieren. Und er tut es nicht in erster Linie mit seiner Anti-Ausländerpolitik, sondern mit der Behauptung, dass Regierende im Unterschied zu ihm null Gespür dafür hätten, was sie bewegt.
Indirekt bestätigt wird derlei auch durch „Leistung muss sich lohnen“-Ansagen einer Volkspartei, die es auf Bundesebene seit Jahrzenten verabsäumt, dafür zu sorgen: Für eine Masse lohnt sich Leistung so oder so nicht mehr, um sich den Traum vom eigenen Haus mit Garten zu erfüllen. Mit Arbeit allein ist das schlicht unfinanzierbar geworden.
Die Verwerfungen werden jetzt sichtbar. Ein Viertel der Wähler treibt es zur FPÖ von Kickl, der das anspricht wie kein anderer. Wobei zwei Anmerkungen nötig sind. Erstens: Verantwortung von Kickl wäre es, nicht Stimmungen zu befeuern, ja zu missbrauchen, um sich zu einem autoritären „Volkskanzler“ aufzuschwingen, sondern sich im Geist des demokratischen Rechtsstaates um Verbesserungen zu bemühen. Zweitens: Pflicht von ÖVP und SPÖ ist es zugleich, sich ganz dem Zustand der Gesellschaft zu widmen – und sich nicht weiter auf PR zu konzentrieren oder sich, wie die SPÖ, ausschließlich in internen Streitigkeiten zu ergehen. Sonst überlassen sie das Feld Kickl allein.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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