Warum eine Messung vor zehn Jahren vor Tsunamis am Bodensee schützt

Vorarlberg / 14.11.2024 • 16:20 Uhr
Der Bodensee im Relief. Die Bregenzer Bucht ist selten tiefer als 100 Meter, wie die rotgelbe Färbung zeigt. Die flache Bucht zeichnet sich davor in Grüntönen ab. Geo.admin.ch

Welchen Nutzen “Tiefenschärfe” über die Kartografie hinweg zum Schutz der Anrainer hat – und welche Rätsel noch bestehen.

Wien Vor zehn Jahren begann am Bodensee eine Mammutaufgabe. Das Boot “Kormoran” mit einem Fächerecholot und ein Flugzeug mit Laser vermaßen den Grund des Bodensee so genau wie noch nie. “Nun kann man den See zum ersten Mal so sehen, als gäbe es kein Wasser”, betont Geologe Flavio Anselmetti gegenüber der APA. Er präsentierte die Ergebnisse des Vermessungsprojekts am Dienstagabend an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Der alte Rhein hat sich tief in den Seegrund gegraben und das Seebecken nach und nach gefüllt. Geo.admin.ch

Der praktische Nutzen der Vermessung liege etwa darin, durch die exakte Darstellung des Seegrundes und anhand weiterer Analysen potenzielle Naturgefahren besser vorhersehen zu können. “Zum Beispiel könnten sich bei einem Erdbeben oder im Bereich des Rheindeltas im Falle eines Hochwassers spontan die Sedimentmassen an den Hängen bewegen”, erklärt Anselmetti. Dies habe das Potenzial, einen Tsunami auszulösen. Undenkbar ist es nicht: Nach einem Hangrutsch am Genfer See im 6. Jahrhundert wurden die Brücken von Genf von einer zehn Meter hohen Welle zerstört und die Stadt überflutet. “Wenn sich solche Massen bewegen, kann es zu extremen Wellenbewegungen kommen, aber auch bei kleineren Wellen sind Schäden an den Uferverbauungen möglich”, so Anselmetti. “Wir modellieren diese Tsunamis und wollen uns die Gefahr ganz nüchtern ansehen.”

Tiefenschärfe Bodensee
Der Bodensee, wie er sich von Osten mit Blick nach Konstanz präsentiert. Der Tiefpunkt ist im blauen Bereich zwischen der Schweiz und Deutschland, flacher ist er in der Bregenzer Bucht. In weiß zeichnet sich unten rechts die Insel Lindau ab. geo.admin.ch
Tiefenschärfe Bodensee
In der Bregenzer Bucht fällt der See bis zur blauroten Kante nur etwa 10 Meter ab. Hier geht es dann rasch tiefer. Der rötliche Bereich ist bis zu 50 Meter tief, die gelblichen aber nicht tiefer als 100 Meter. Geo.Admin.ch

Offene Rätsel an beiden Uferseiten

Die im Rahmen der Vermessung gefundenen 170 Hügel, die sich auf zehn Kilometer Länge dem Schweizer Bodenseeufer entlangziehen, bleiben aber weiterhin rätselhaft. Die perlschnurartig aufgereihten, flachen Erhebungen befinden sich zwischen Romanshorn und Altnau, etwa 200 bis 300 Meter vom Seeufer in einer Tiefe von bis zu fünf Metern. Sie haben einen Durchmesser von 15 bis 30 Meter, oft nicht viel höher als ein Meter, sind von Menschenhand aufgeschüttet und an die 5500 Jahre alt – also aus der Zeit von Ötzi. Sie wären damit das größte bekannte neolithische Bauwerk Europas, nur ihr Zweck ist noch unklar.

Unterwasserhügel Bodensee
Einer der Unterwasserhügel am Schweizer Ufer. Foto Amt für Archäologie Thurgau, www.archaeologie.tg.ch

Dabei gibt es die “Hügeli” nicht nur am Thurgauer Ufer, wie man beim Amt für Archäologie des Kantons nicht müde wird zu betonen: Auch am deutschen Ufer finden sich diese Aufschüttungen. So wurden zwischen Wasserburg und Bad Schachen ebenfalls 25 dieser Erhebungen gefunden. Sie sind ebenfalls zwischen zwölf und 35 Meter im Durchmesser, ähnlich alt und dürften ebenfalls von Hand auf eine hölzerne Struktur aufgeschüttet worden sein. Sie wurden erst kürzlich von Tobias Pflederer, Vorsitzender der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie, im Fachblatt AiD behandelt.

Unterwasserhügel Bodensee
Seit 2015 gelten die Hügel als “Stonehenge vom Bodensee”. Plan Amt für Archäologie Thurgau, www.archaeologie.tg.ch

Bei der Untersuchung von “Hügeli 5”, des bis jetzt einzigen mühsam unter Wasser schnittweise aufgebaggerten Hügel, seien zumindest keine Siedlungsreste gefunden worden, sondern nur Steine und einzelne Holzstücke. Denkbar wäre etwa ein Nutzen im Fischfang, aber auch Begräbnisplattformen, Kalenderanlagen, Wellenbrechern oder Lesesteinhaufen für den Ackerbau sind denkbar. “Aber wir wissen es schlicht nicht. Spekulieren ist also erlaubt”, sagt Anselmetti.

Tiefenschärfe Bodensee
In gelb zeichnen sich die Hügel im blauen Streifen entlang des Ufers als Erhöhungen ab. Geo.admin.ch

Aufwendige Messungen

Die Geschichte des Bodensees begann vor etwa 19.000 Jahren mit dem Rückzug der Rheingletscher. In den Sommern 2013 und 2014 wurde der See aufwendig vermessen. Zuerst fuhr das Messboot “Kormoran” mit einem Fächerecholot aus. Bei dieser Methode wird ein Fächer an Schallwellen ausgeschickt und ihre Reisezeit zum Grund und retour gemessen. Der Nachteil: Im Flachwasser leidet die Genauigkeit. Daher wurden die Messungen im Folgejahr durch Lasermessungen aus dem Flugzeug ergänzt. Bevor die Karte öffentlich zur Verfügung gestellt wurde, mussten noch die großen Datensätze der zwei Messmethoden kombiniert sowie Trinkwasserfassungen wegen der Gefahr von Giftanschlägen und archäologisch wertvolle Schiffswracks kaschiert werden.

Warum eine Messung vor zehn Jahren vor Tsunamis am Bodensee schützt

Martin Wessels vom Projekt “Tiefenschärfe” 2023

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