„Ich habe ja nur zugeschlagen, weil…“

Hunderte Männer müssen in Vorarlberg zur Beratung für Gewaltprävention. Manche zeigen Reue, andere verteidigen sich. Der Leiter der Beratungsstelle bietet Einblicke und Vorschläge für präventive Maßnahmen.
Schwarzach Wenn jeder Tag mit Erniedrigung beginnt, ist das Gewalt. Wenn es Machtgefälle in einer Beziehung gibt, wenn Frauen ökonomisch oder emotional abhängig von ihrem Partner sind und wenn Männer auf alte Rollenbilder beharren: Dann begünstigt das Gewalt. All dem zu entkommen, erfordert vieles. Mut alleine reicht nicht aus, zumal es oft um Existenzen geht.
Am Montag beginnen die 16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Es ist eine internationale Kampagne zur Bekämpfung ebendieser Zustände. Die 16 Tage sollen aufwecken, aufmerksam machen und verändern. Denn Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig.

Der Ort mit dem größten Risiko
Das weiß auch Mario Enzinger, Leiter der Gewaltberatung und Beratungsstelle für Gewaltprävention am Institut für Sozialdienste Vorarlberg (ifs). „Bei körperlicher Gewalt ist das eigene Zuhause leider der Ort mit dem größten Risiko.“ Schreitet die Polizei ein, kann sie die gewalttätige Person mit einem Annäherungs- und Betretungsverbot belegen. Das geschieht, wenn sie „einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit und Freiheit“ befürchtet. In Folge muss der sogenannte Gefährder eine Gewaltpräventionsberatung besuchen, die mindestens sechs Stunden umfasst.
Das Annäherungs- und Betretungsverbot
Die Polizei kann Gefährder mit einem Betretungsverbot einer Wohnung belegen, samt einem Bereich im Umkreis von 100 Metern. Damit verbunden ist ein Annäherungsverbot an die gefährdete Person im Umkreis von 100 Metern. Geschützt sind dadurch alle Personen, die in der entsprechenden Wohnung leben. Das Verbot ist auf zwei Wochen befristet und kann auf bis zu vier Wochen ausgedehnt werden. Missachtet ein Gefährder das Betretungs- und Annäherungsverbot, wird empfohlen, sofort die zu verständigen.
Dass es sich dabei um keine Randerscheinung handelt, zeigen die Zahlen. So hat die Polizei heuer bereits 398 gewalttätige Personen der Beratungsstelle für Gewaltprävention zugewiesen. 85 bis 90 Prozent davon sind Männer. Die meisten von ihnen seien ihrer Partnerin gegenüber gewalttätig geworden, berichtet Mario Enzinger.
Festigen der Machtposition
„Wichtig ist die Einsicht, der gewalttätigen Person, dass sie für ihr eigenes Verhalten verantwortlich ist. Es geht um die Frage, wie Konflikte gelöst werden können. Normen, Werte und Rollenbilder sind zentral“, umrahmt er Eckpunkte der Beratung. Oft gehe es auch um den Umgang mit psychischen Erkrankungen oder Suchtmittelabhängigkeiten. Häufig komme im ersten Impuls eine Rechtfertigung der gewalttätigen Person: „Ich habe ja nur zugeschlagen, weil…“, nennt Enzinger ein Beispiel der „Verantwortungsdelegation“. Reue sieht er meistens bei jenen Menschen, die erstmalig gegen ihre Partnerin gewalttätig geworden sind. Andere wiederum versuchten durch Gewalt ihre Machtposition in der Beziehung zu festigen.

„Gerade Abhängigkeiten und Machtgefälle sind Nährboden für Gewalt in Beziehungen“, hält der Leiter der Gewaltberatung fest und betont: Wer gewaltpräventiv tätig werden will, müsse auch auf gesellschaftlicher Ebene für mehr Gleichstellung kämpfen. Karenz, gleiche Rechte, gleiche Bezahlung,… zählt Enzinger auf. „Die starren Rollenbilder müssen aufgeweicht werden.“ Männlichkeit könne auch fürsorglich sein. Männer dürften auch Schwächen zulassen und über ihre Emotionen sprechen. „Alleine miteinander zu reden, wäre schon gewaltpräventiv.“ Oft aber werde auf die eigene Schwäche mit Gewalt geantwortet: „Das sind Dauerbrenner in der Beratung.“
“Darf nicht alltäglich sein”
Gewaltopfern rät Enzinger, sich selbst zu verorten. „Wenn man betroffen ist, neigt man mitunter dazu, etwas zu bagatellisieren. Man nimmt etwas als alltäglich, was keinesfalls alltäglich sein darf.“ Wichtig sei, sich Unterstützung zu suchen, Beratungsstellen zu kontaktieren und mit jemandem zu sprechen, der einen neutralen Blick auf das Erlebte wirft.
Von Jänner bis Ende Oktober begleitete das Gewaltschutzzentrum im ifs 967 Opfer häuslicher Gewalt. „Die Dunkelziffer ist weit höher, denn viele Betroffene zögern, sich Hilfe zu suchen“, heißt es seitens der Einrichtung.

Hier kann auch das Umfeld helfen. „Man muss bereit sein, hinzuschauen. Das heißt zum Beispiel, die Nachbarin ansprechen und fragen, ob sie Unterstützung braucht“, erklärt Enzinger. Bei akuten Wahrnehmungen, sei natürlich die Polizei am Zug, die einschreiten sowie Betretungs- und Annäherungsverbote aussprechen kann.
Verpflichtende Beratung als Erfolg
Die verpflichtende Beratung in Folge bringe massive Vorteile. „Wir erreichen eine Zielgruppe, die sonst nie in so einem Setting angedockt hätten.“ 70 Prozent absolvieren das Programm vollständig. Bis zu einem Viertel von ihnen machen nach den vorgeschriebenen sechs Stunden freiwillig weiter. Jene 30 Prozent, die die Beratung frühzeitig abbrechen, werden den Sicherheitsbehörden gemeldet.
Neben der Stelle für Gewaltprävention leitet Enzinger auch die Stelle zur Gewaltberatung für Menschen, die gewalttätig sind oder waren, sich grenzverletzend verhalten oder Gewaltphantasien haben. 438 Personen wurden über diese Schiene alleine schon heuer betreut. Darunter befinden sich auch sogenannte Selbstmelder. Das Ziel: Den Weg in ein gewaltfreies Leben zu unterstützen und ebnen. Dazu braucht es entsprechendes Bewusstsein und mehr Aufmerksamkeit. Die kommenden 16 Tage gegen Gewalt an Frauen und Mädchen sollen dabei helfen.
Kontakt für Betroffene und Angehörige
Wer Hilfe und/oder Beratung sucht, findet diese bei der ifs Gewaltschutzzentrum (05/1755-535), Frauennotwohnung (05/1755-577) oder Gewaltberatung (05/1755-515). Bei akuter Bedrohung wird geraten, direkt die Polizei (133) zu kontaktieren.