Verzweiflung und ein bisschen Hoffnung

Annette Egger will wissen, warum ihre Tochter behindert ist. Und von den Ärzten fordert sie Respekt.
KLAUS Annette Eggers Kräfte sind erschöpft. Alle Bemühungen um eine Diagnose, die erklärt, warum ihre 17-jährige Tochter Amelie mehrfach beeinträchtigt ist, sind bislang gescheitert. „Was ich alles erlebt habe mit Ärzten, ist schwer erträglich“, sagt Annette. Besonders die Demütigungen ließen die 50-jährige zweifache Mutter nahezu verzweifeln.

Annette lebt mit Amelie in einer Mansardenwohnung in Klaus. Geboren 1974, wuchs sie in Altach auf. In der Textilschule in Dornbirn ließ sie sich zur Damenkleidermacherin ausbilden, zudem absolvierte sie die Meisterklasse. Ihre berufliche Laufbahn führte sie in renommierte Textilindustrieunternehmen, 2009 machte sie sich als Schneidermeisterin selbstständig. Neun Jahre später hörte sie auf. Seitdem ist sie bei der Firma Waibel Berufsbekleidung beschäftigt.
Sohn Fabian kam 1996 gesund und kräftig zur Welt. „Als 2007 Amelie ankam, bemerkte ich gleich, dass sie anders ist. Ich musste ihr beibringen, was jedes Kind von selbst lernt: kriechen, stehen, gehen – alles.“
Amelie war zwei Jahre alt, als sie plötzlich von einem Fieberkrampf befallen wurde. „Ich saß auf der Couch, sie schlief an mich geschmiegt. Auf einmal zuckte ihr Körper. Ihre Mundwinkel hingen herab. Das Fieber stieg auf über 40 Grad“, beschreibt Annette den Moment, als sie dachte, jetzt stirbt ihr Kind. Nach zwei Wochen stationärem Spitalsaufenthalt ging das Fieber zurück, und Amelie wurde nach Hause geholt. Die Ursache des Fieberkrampfs konnte nicht festgestellt werden.

Im Alter von zweieinhalb Jahren wurden bei Amelie zwei genetische Untersuchungen vorgenommen. Die erste, ein Down-Syndrom-Bluttest, war negativ. Der andere Test diente zur Identifizierung genetischer Ursachen für ihren Gesundheitszustand. „Das Ergebnis lautete, genetisch sei alles in Ordnung“, sagt Annette. Doch dann habe sie erfahren, dass man aufgrund der zu geringen Blutmenge den Test gar nicht durchgeführt hatte.
Im Kindergarten wurde Amelie wegen ihrer Behinderung von einer Sonderpädagogin betreut. „Als sie im Schulheim Mäder eingeschult wurde, fühlte sie sich sofort wohl in der Klasse“, erinnert sich Annette. „Dort ist sie nicht anders, sondern sie ist wie die anderen.“

2022 stand mittels IQ-Test fest, Amelie kann nicht mehr als die geistige Reife einer Siebenjährigen erreichen. Da war für ihre Mutter klar: „Jetzt muss ich um eine höhere Pflegestufe kämpfen“. Seit der Einschulung ist Amelie auf Pflegestufe 2. Annette stellte bei der PVA einen Antrag auf Bedarfserhebung. Dem wurde stattgegeben. Es folgte ein Begutachtungstermin bei einem Kinder- und Jugendfacharzt. „Der Arzt gab lediglich eine Entwicklungsverzögerung an und erhöhte die Pflegestufe nicht“, schildert Annette. „Auf meinen Einwand, Stufe 2 sei zu niedrig, antwortete er, ‚Rückwärts geht’s immer‘.“ Dazu kam, dass sie einen Termin für einen zur Abklärung erforderlichen Gentest erst in zweieinhalb Jahren bekommen sollte. Annette wusste nicht mehr weiter. Da gab ihr jemand den Tipp, sich an Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher zu wenden. „Ich ging in ihre Sprechstunde und erzählte ihr alles.“ Und auf einmal bewegte sich etwas. Amelie wurde Pflegestufe 3 zuerkannt.

Hoffnung auf eine richtige Diagnose gibt Annette der Vorarlberger Filmemacher Niko Mylonas, der neulich im Schulhaus Mäder seinen Film „GenDefekt“ präsentierte. Der Film handelt von KAT6-Kindern.
Die Mutation KAT6A/B ist ein äußerst seltener, kaum erforschter Gendefekt, der bei betroffenen Kindern motorische, kognitive und sprachliche Einschränkungen zur Folge hat. „Nach der Vorführung kam ich mit Niko ins Gespräch und beschrieb ihm Amelie. Er gab mir den Kontakt zur KAT6 Foundation in Innsbruck.“ Über die Foundation kann nun der spezielle Gentest gemacht werden, mittels dem man feststellen kann, ob Amelie ein Kat6-Kind ist. So hat Annette Egger nur einen Wunsch: „Ich möchte endlich wissen, was meiner Tochter wirklich fehlt.“