Sodom und Gomorrah, kurz gesagt
Entschuldigung wenn ich heute ein wenig spöttisch bin. Weil es ist so. Als ich vor, ich sag nicht wie vielen Jahren, im zarten Alter von Neunzehn aufbrach, um das sichere Ländle gegen die große Stadt einzutauschen, gab es durchaus einige Menschen, die davon überzeugt waren, dass das kein gutes Ende für mich nehmen würde.
Weil warum: Die riesige Stadt! Dieser Moloch! Die Anonymität! Sodom und Gomorrah, kurz gesagt. Der garantierte Absturz für ein abenteuerlustiges, erlebnishungriges Mädchen mit noch nicht gefestigtem Charakter. Ich nehme an, meine Eltern hatten in der ersten Zeit ein paar schlaflose Nächte, es gab ja damals auch kein Handy, keine eMail, kein Whatsapp, keine Social Media, all die Mittel, die einem jetzt erlauben, eine Heranwachsende praktisch lückenlos zu überwachen, selbst wenn sie in einer weit entfernten Stadt lebt. Damals telefonierte man einmal in der Woche übers Viertel-Telefon.
Wider Erwarten bin ich in der großen Stadt ohne gröberen Schaden erwachsen geworden. Aber vielleicht, merke ich jetzt, geschah das nicht trotz meiner adoleszenten Flucht in die wilde Metropole, sondern genau deswegen. Denn vor ein paar Tagen las ich folgendes: Wie das jährliche Abwassermonitoring ergab, ist nirgends in Österreich der Kokain-Konsum derart hoch wie in Vorarlberg. Nirgends! Auch nicht in Wien! Die kokainvergiftetsten Orte, so erfahre ich, sind vermeintlich beschauliche Kleinstädte wie Bregenz, Dornbirn, und, man glaubt es nicht, das idyllische Dörfchen Meiningen, 2480 Einwohner. Das liegt natürlich an der Grenzlage zur Schweiz, ich weiß schon. Trotzdem. Eine meiner Töchter besuchte zu Weihnachten jemanden in Meiningen, und wäre sie nicht schon erwachsen, müsste sich überlegen, ob es auch sicher ist, sie da allein hinfahren zu lassen.
Nein, schlechter Witz, aber trotzdem war das eine Überraschung. Das kleine katholische Ländle, wer hätte das gedacht. Eltern von Kindern aus Restösterreich, die ihr Studium in einer FH in Bregenz oder Dornbirn absolvieren, waren bislang gewiss überzeugt, ihre Kinder studierten gut behütet an einem sicheren Ort in der idyllischen ländlichen Provinz, wo sie in der Freizeit skifahren, wandern und im Bodensee schwimmen, fern von den Risiken urbaner Ablenkungen durch zweifelhafte Substanzen. Und jetzt: zehn bis zwanzig Tonnen Cannabis werden jedes Jahr im Ländle konsumiert, und mehr als 300 Kilo Kokain in Reinsubstanz. Das ist durchaus schockierend.
Und es ist natürlich falsch, sich über diese Ergebnisse zu mockieren, wenn man weiß, wieviel Elend eine Drogensucht nach sich zieht. Dennoch: Dass die größte Großstadt gerade hier besser abschneidet als das kleinste Ländle, es ist irgendwie lustig.
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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