Taliban
Sie nannten ihn Taliban, weil seine Haare lackschwarz waren und seine Augen so wild. Dabei war er einer von hier. Ein großer junger Mann mit athletischer Figur. Er wäre der Schönste gewesen, wenn seine Haut nicht von Akne geplagt gewesen wäre. Das machte ihn scheu, und er tat, als wäre er unsichtbar, unnahbar. Dabei liebte er den Fußball und während er spielte, schien alles vergessen. Nach dem Spiel, nach der Dusche, verschwand er, lehnte Angebote, auf einen Drink mitzukommen, ab.
Für seine Mutter war seine Haut ein Experiment. Alles probierte sie. Schwefelseife, Mikronährstoffe, was immer das auch heißen mochte. Der Arzt verschrieb ihm Salben und Pillen. Es gab nur eines: abwarten. Man wusste, es vergeht. Aber wann würde es vergangen sein? Es dauerte bereits zwei Jahre, eine Ewigkeit.
Taliban besuchte die Berufsschule und war, was er selber nicht wusste, eine „Kultfigur“ unter den Schülern, wahrscheinlich weil er sich so rar machte, kaum sprach, und wenn, nur coole Statements. Kein Mädchen traute sich in seine Nähe. Außer Anastasia, die mit den weißblonden Haaren, so fest zu einem Knoten gezerrt, dass ihre Augen schief standen. Sie interessierte sich für Taliban. Er war der Mann ihrer Träume, der zukünftige Ehemann, der Vater ihrer zukünftigen drei Kinder, bis in alle Ewigkeit. Sie war eine, die alles ausprobieren wollte, was unmöglich schien, die alles erreichen würde. Lag sie in ihrem engen Bett, in einem Zimmer mit drei Schwestern, stellte sie sich vor, wie sie Taliban behandeln würde, so dass seine Haut rein würde. Sie würde heiße Tücher auf ihn legen, würde ihn desinfizieren, dann heftig darüberstreichen, so dass alle Unebenheiten aufgingen, sie würde dabei beten, was sie von ihrer Oma kannte, würde sich so hineinsteigern, als wäre sie eine anerkannte Ärztin, eine Heilerin obendrein. Küssen würde sie seine Wunden.
Sie arbeitete in seiner Branche: Gärtnerei. Viel frische Luft. Sie ging zu ihm hin, gerade schaufelte er Erde aus einer Grube, und seine Schultern sahen so stark aus, dass sie eine Gänsehaut bekam. Dieser Mann würde sie in die Arme nehmen, sie würde darauf achten, dass er bei ihr bliebe. Sie wollte ihm in die Augen sehen. Er schaute weg. Sie probierte Omas Gebete, legte alles aus ihrer Seele hinein, schaute, schaute.
Und er: „He, was ist dein Problem?“
Und Anastasia. „Ich will dich.“
So kann etwas beginnen und glücklich enden.
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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