Kolumne: Willst du die alten Stühle?
Die erste Frage, die zu klären ist, heißt es Stühle oder heißt es Sessel. Ständig muss ich darüber mit Wienern diskutieren. Im Ländle sitzt man auf Stühlen, in Wien auf Sesseln, und die Wiener haben mir das Gehirn so arg gewaschen, dass ich in meinem letzten Buch den Ausdruck „Sessel“ statt „Stuhl“ verwendet habe. Bei jeder Lesung in Deutschland gibt es dazu Fragen, weil bei den Deutschen sitzt man ja auch auf dem Stuhl; in einem Sessel liegt man wie in Wien in einem Fauteuil. Also: Stühle! Hätten wir das geklärt.
Denn als eins der Kinder jetzt aus seiner WG in eine eigene Wohnung gezogen ist, fehlten ihm ein paar Möbel. Es braucht Regale, einen Tisch und es hat keine Stühle, die bleiben in der WG-Küche.
Da sind mir die drei eingefallen, die in meinem Schuppen ganz oben an der Holzwand hängen.
Es sind Klassiker: Vier Beine aus hellem Holz, die Sitzfläche ganz leicht ausgebuchtet und mit hellem Holzfurnier überzogen, an der Rückseite stecken sechs zart auseinanderstrebende Holzstangen, die oben durch einen leicht gebogenen, an den menschlichen Rücken angepassten Steg verbunden sind. Jeder kennt solche Stühle, diese Stühle standen in den Sechziger Jahren so gut wie in jedem Haus.
Diese drei standen in der Küche meiner Eltern, in ihrer ersten Wohnung. Die Eltern müssen damals ungefähr so alt gewesen sein wie das Kind jetzt, und ich selbst habe mich als Krabbelkind an diesen Stühlen hochgezogen. Willst du sie? fragte ich das Kind, das die Stühle kennt, denn ich habe sie irgendwann aus dem Keller der Eltern, die längst neue Stühle hatten, mit nach Wien genommen und sie standen auch schon in unserer ersten Familienwohnung. Auch das Kind ist darauf herumgekraxelt, als es wirklich noch ein Kind war. Jaaa!, sagte das Kind, unbedingt.
Ich holte die Stühle aus dem Schuppen, wischte die Spinnweben ab, ließ sie mit einer Holzpolitur ein. Bei einem wellt sich leicht das Furnier auf der Sitzfläche, sie sind fleckig, einer hat ein paar Farbspritzer, alle Beine sind zerkratzt, aber sonst sind sie piccobello beieinander: da wackelt nichts.
Ich lud die Stühle ins Auto und brachte sie in die Stadt. In der Stadt setzte sich das Kind einen Stuhl auf den Kopf und ich band zwei auf den Gepäckträger meines Fahrrads und wir brachten die Stühle zur neuen Wohnung. Als ich dort vor der Tür die Spanngummis löste, krachten die Stühle vom Fahrrad auf den Asphalt, einer mit einem Bein voran. Mamaaaaaa!!!! rief das Kind, musst du sie jetzt noch kaputt machen! Ich hob den Stuhl auf, das Bein war etwas schief, ich setzte den Stuhl mit Wucht auf den Boden, setzte mich drauf, das Bein war wieder gerade, der Stuhl stand felsenfest. Der geht nicht kaputt, sagte ich.
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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