Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Kolumne: Das Bild

Vorarlberg / 17.04.2025 • 08:15 Uhr

Die Frau sah auf einer Ausstellung das Bild einer anerkannten Malerin, und es gefiel ihr so sehr, dass sie darauf sparen wollte. Sie hatte wenig Geld. Die Malerin war gerührt über den Eifer der Frau und gab ihr das Bild günstiger. Es war ein buntes Bild mit Vögeln und Blumen, ein Dschungelbild, in der Art der Malerin gemalt, nicht wirklich gegenständlich, von einem feinen Zauber.

So hing das Bild schon Jahre bei der Frau im Wohnzimmer. Es war ihr einziges an der Wand, kein zweites wollte sie dazu hängen.

An einem Morgen saß sie vor ihrer Tasse Tee und sah auf das Bild. Da bemerkte sie am oberen Rand einen dunklen Fleck, den sie bislang nicht wahrgenommen hatte. Er gehörte eindeutig zu der Komposition und war schon immer da gewesen, ein kleines Stück Nacht. Nur die Frau hatte den Fleck in dieser Intensität nie gesehen. Sie bildete sich auch ein, er sei nie dagewesen. Der Fleck war über einem Gestrüpp von verschiedenem Grün, Vögel saßen darin.

Die Frau suchte die Nummer der Malerin in ihrem Notizbuch und rief sie an.

Die Malerin versprach, sollte sie einmal in der Nähe sein, werde sie vorbeikommen und ihr das Bild erklären. Sie konnte sich gar nicht mehr entsinnen, welches es gewesen war, schließlich waren Jahre vergangen.

An einem hellen Tag traf die Malerin ein, und die Frau führte sie vor das Bild. Die Malerin erinnerte sich sogleich und auch an die Stunden, in denen sie es gemalt hatte. Sie war damals verliebt gewesen, und die Farben rannen so fröhlich ineinander, sie umarmten einander, wie sie ihren Liebsten umarmt hatte. Sie erinnerte sich, dass es ihr schwer gefallen war, das Bild zu verkaufen.

„Sollen wir es tauschen? Kommen Sie in mein Atelier und suchen sich ein anderes aus!“

Das wollte die Frau nicht. Sie sagte, sie liebe dieses Bild über alle Maßen, nur der schwarze Fleck bringe sie in Unruhe, gar in Angst, und sie wünsche, dass die Malerin ihn übermale.

Die Malerin wurde ärgerlich. Es handelte sich schließlich um Kunst, und einfach in eine Komposition hinein zu patzen missfiel ihr.

Die Frau war lästig, und um sie zum Schweigen zu bringen, übermalte die Malerin den Fleck in einem Pastellton.

Aber was hatte sie damit bewirkt? Die Besitzerin des Bildes war unzufrieden und sah hinter dem Pastell noch immer den dunklen Fleck. Sie war so aufdringlich, dass die Malerin auf ihre Anrufe nicht mehr reagierte, zuletzt hatte sie in hartem Ton gesagt, sie wolle in Ruhe gelassen werden.

Die Frau war verbissen und jedem, dem sie von ihrer Sorge erzählte, ging sie auf die Nerven. Man dachte, sie sei übergeschnappt.

Einmal kam ihr Sohn zu Besuch und nahm das Bild von der Wand, verstaute es in seinem Auto und fuhr davon. Sogleich verlangte die Frau das Bild wieder zurück. Sie konnte ohne ihren Ärger nicht mehr froh werden.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.