Kolumne: Kränkung
Die Frau, eine Freundin, sagte von sich, dass sie an und für sich nicht nachtragend sei. Aber in diesem Fall verhalte es sich anders.
So erzählte sie mir.
Sie war bei einem Mann eingeladen, der sich für einen prominenten Regisseur hielt, und er wollte, dass sie ihm ein Treatment schreibe. Dreimal hatte er sie schon darum gebeten. Das vierte Mal nahm sie an. Die Reise war beschwerlich, an einen Ort, den sie nicht kannte, mit der Eisenbahn, dem Omnibus, dann zwanzig Minuten zu Fuß. Der Mann hatte sie nicht, wie versprochen, abgeholt. Da hätte sie sich schon einiges denken können. Sie klopfte an die Haustür, ein Dienstmädchen öffnete. Der Regisseur empfing sie mit übertriebener Höflichkeit. Ihr Zimmer sei noch nicht fertig, sagte er. Abgemacht war, dass sie zwei Mal übernachten würde. Sie setzte sich ins Wohnzimmer. Seine Frau, sagte er, sei noch beim Zurechtmachen.
„Wie Zurechtmachen?“, fragte sie. „Doch nicht für mich.“
Es komme dann noch ein Besuch, sagte er beiläufig. Er schwitzte an der Stirn. Keine Minute setzte er sich zu ihr. Sie hatte die Reisetasche an der Gardarobe stehen lassen, fragte das Dienstmädchen um ein Glas Wasser.
Die Dame des Hauses schritt die Stiege hinab, schreiten war nicht zu viel gesagt, sie trug ein Kleid, das ihre Schuhspitzen berührte. Sie winkte mit gespreizten Fingern, wahrscheinlich frisch lackiert.
Die Hausdame bat sie zu gehen. Sie bitte inständig. Gleich nämlich kämen die Gäste. Ihre Gäste. Wichtig für ihre Karriere. Ihr Mann könne sich nicht um sie kümmern. Er putze gerade noch seinen Mercedes.
Sie, die Freundin, nahm ihre Tasche und knallte die Haustür zu. In der Garage fand sie den Regisseur, der sie so dringend eingeladen hatte, und stellte ihn zur Rede. Er bitte um Verzeihung, sagte er, das alles sei nicht vorauszusehen gewesen, und er bitte sie, wieder zu fahren.
Er gab keine weitere Auskunft. Die war so perplex, dass sie sich auf den Weg machte. Sie drehte sich noch einmal um und rief, so laut sie konnte: „Wagen sie nicht, mich noch einmal anzurufen! Ich schicke Ihnen die Reisespesen. Mich sehen sie nie wieder.“
Beim letzten Satz versagte ihr die Stimme. Es fing an zu regnen, der Wind blies. Ihre Schuhe waren eng, ihr Rock war eng, sie stolperte und zerriss sich die Strümpfe. Ihr bester Mantel war dreckig vom Hinfallen. Auch hatte sie sich am Knöchel wehgetan. Sie ging mit Mühe und Schmerzen, sah immer wieder zurück, ob nicht ein Auto käme und sie mitnähme. An der Bushaltestelle wartete sie vergebens. Ein Traktorfahrer brachte sie zum Bahnhof. Ihm erzählte sie von ihrem Missgeschick. Er machte sich über die Leute lustig. Größenwahnsinnig ohne Grund.
Als sie endlich aus dem Zug stieg und nach Hause hinkte, dachte sie, es war ein Albtraum. Leider kein Traum. Und dass die Rache nur Schweigen sein konnte, kränkte sie.
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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