Kommentar: Das Erdbeer-Kuchen-Dilemma
Der Hans, ein Bekannter aus dem Nachbarort, hat am Sonntag gesimst, er radelt heut zum Erdbeerfeld und kommt dann beim Rückweg mit Erdbeeren bei mir vorbei. Ich hab zurückgesimst, super, da freu ich mich. Ich bin eigentlich nicht so der Früchtemensch, aber Erdbeeren mag ich. Vielleicht, weil Erdbeeren immer auf meinem Geburtstagskuchen waren, als ich ein Kind war. Oder vielleicht wars umgekehrt, die Erdbeeren waren auf dem Kuchen, weil ich sie so gern hatte; ich kann es nicht mehr sagen, es ist ein klassisches Henne/Ei-Dilemma. Es ist auch nicht so, dass ich Obst überhaupt nicht mag, ich kauf mir nur selten eins, das einzige Obst, dass ich immer im Kühlschrank habe, sind Zitronen.
Jedenfalls weil der Hans gesagt hat, er kommt mit Erdbeeren, hab ich gedacht, ich mach am Feiertag einen Erdbeerkuchen. Ich whatsappte den Nachbarn: Morgen gibts Erdbeerkuchen zum Kaffee. Die Nachbarn schrieben, super, wir kommen gern. Ich suchte mir aus dem alten Rankweilerinnen-Kochbuch, das mir meine Mutter mal geschenkt hat, ein Biskuit-Rezept heraus.
„Es ist auch nicht so, dass ich Obst überhaupt nicht mag, ich kauf mir nur selten eins.“
Ich wartete auf den Hans, er kam nicht, dann simste er, es werde etwas später werden, also ging ich mit dem Hund spazieren, dann simste der Hans, es werde noch etwas später werden. Normal mag ich sowas gar nicht, aber der Hans ist an und für sich ein extrem zuverlässiger Mensch, das hat er nicht zuletzt beim Hochwasser bewiesen, deswegen nahm ich es gelassen, es ging ja nur um Erdbeeren, die ich nicht mal bestellt hatte.
Ich saß vor dem Haus, es hatte zu regnen aufgehört, aber es war kühl, ich wickelt mich in eine Decke.
Um sieben tauchte der Hans schließlich auf, in seinem Fahrradgewand, mit einer Tasche und einem Grinsen. Also hmmm tja, sagte er, es war so, es gab am Erdbeerfeld keine vernünftigen Erdbeeren mehr, die waren alle nur noch Matsch.
Aha, Pech, sagte ich und überlegte, wie ich das den Nachbarn beibringen würde.
Ich hab aber was anderes mit Erdbeeren, sagt der Hans.
Aha? sagte ich.
Der Hans zog aus seiner Tasche eine Flasche Erdbeer-Frizzante, weil den gibts offenbar auch beim Erdbeerfeld.
Wie soll ich denn damit morgen Kuchen backen, sagte ich.
Ist mir egal, sagte der Hans, morgen bin ich eh nicht da. Aber jetzt bin ich da, mach auf, er ist sogar noch kalt.
Ich machte den Frizzante auf, er roch intensiv nach Erdbeeren. Wir tranken jeder ein Glas, mit viel Eis. Dann schickte ich den Hans nach Hause, schenkte mir noch ein Glas ein und suchte mir aus dem Internet ein Rezept für Zitronen-Tarte.
Weil Zitronen habe ich ja im Kühlschrank; Erdbeerkuchen gibts dann nächstes Mal.
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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