Hanno Loewy

Kommentar

Hanno Loewy

Wegen Überfremdung geschlossen

Vorarlberg / 27.08.2025 • 16:10 Uhr

Heute vor achtzig Jahren entstand eine neue Weltordnung, auch wenn dieses Datum wohl kaum jemand kennt. Aber mit der amerikanischen Besatzung Japans endete der Zweite Weltkrieg – im Pazifik. Die Welt wurde aufgeteilt in Ost und West. Und es endete ein Krieg, der im Grunde im Juni 1914 begonnen hatte. Dessen Verheerungen nach den Waffenstillständen 1918 nicht mit dem Sieg der Demokratie endeten, sondern damit, dass sich ein Land Europas nach dem anderen (und eben auch Japan) dem Faschismus und dem „Nationalsozialismus“ an den Hals warf. Bis schließlich der europäische Faschismus von Westen und Osten besiegt werden musste.

Heute erscheint einem das alles – die alliierten Befreier von einst, die Glücksversprechen des Kommunismus, die liberalen Verheißungen des Westens, aber auch die schließlich 1989 gefeierten Hoffnungen auf ein demokratisches Europa ohne Mauer – alles das scheint in einem absurden Strudel zu versinken. In den USA hat eine neue Form von Faschismus gesiegt, ein libertäres Raubrittertum, in Russland hingegen ein neues, pompöses Zarentum. Und die Europäische Union, all die Staaten, die vor hundert Jahren in den Faschismus taumelten, wehren sich nun als letzte, allzu zaghaft, und uneinig. Von innen zersetzt von rechten Populisten, die mit den neuen Diktatoren in West und Ost liebäugeln und mit deren Virtuosität, die Menschen in Europa gegeneinander auszuspielen.

“In den USA hat eine neue Form von Faschismus gesiegt, ein libertäres Raubrittertum.”


„Welches Europa brauchen wir?“ fragen Gerald Knaus und seine Tochter Francesca in ihrem neuen Buch, das in wenigen Tagen erscheinen wird. Ein Generationenprojekt. So, wie dieses Europa, das nun daherkommt wie eine Unvollendete, das der Mut verlässt, wo es ernst wird.

Und ich selbst? Ich flüchte zurück in die Akten aus jenen Tagen, als die Welt noch übersichtlicher erschien. Als Menschen aus dem Deutschen Reich, aus allen besetzten Ländern, als Menschen aus Europa in die Schweiz flüchteten. Verfolgt als Juden oder weil sie nicht in einen Vernichtungskrieg ziehen wollten, geflohen vor Zwangsarbeit oder weil sie dem faschistischen Traum von der Volksgemeinschaft nicht glaubten. Die Spuren von tausenden von Ihnen sind in den Archiven bewahrt und warten darauf, dass sich endlich jemand für sie interessiert, für ihr Leben und ihren Kampf darum, Menschen zu bleiben. Und meine Flucht vor der Gegenwart, auf den Spuren der Flüchtlinge der Vergangenheit? Sie endet in einer Zeitschleife, in einer nicht vergangenen Gegenwart. „Wegen Überfremdung“ geschlossen, dieses Schild hing damals an den Toren der Schweiz, dem „Rest-Europa“ jener Tage. Wer sich in diese berührende, verstörende Zeitschleife begeben will, der kann ihr nach Altstätten ins Museum Prestegg folgen. Dort ist ab Sonntag zu sehen, wie es den Menschen ging, die aus der Vergangenheit des Faschismus in die Gegenwart der Schweizer Demokratie flüchteten. Und deren Nachkommen noch heute damit ringen. Flucht: auch das ist ein Generationenprojekt.

Hanno Loewy ist Direktor des ­Jüdischen Museums in Hohenems.