Eine Frage der Zuwendung

Als Doktor vom alten Schlag hat Paul Gmeiner den Harder Sozialsprengel mitgegründet.
Hard. (VN-tm) Das Wartezimmer steht zwar leer. Aber Paul Gmeiner, der seine Praxis am 31. März 2009 zugesperrt hat, wird noch immer um Rat gefragt. Kunststück, 27 Jahre lang war er Harder Gemeindearzt. Den Sozialsprengel, der Anfang Dezember 30 Jahre alt wird, hat er mitbegründet.
Dass sich Ferdl Lerbscher, Manfred Dörler und Helmut Kopf damals an den neuen praktischen Arzt wandten mit der Bitte um Mitarbeit, kam nicht von ungefähr. „Man kann keine Medizin betreiben, ohne das soziale Umfeld zu betrachten“, hat sich an Gmeiners Überzeugung seit dem nichts verändert. „Man muss berücksichtigen, was am Arbeitsplatz und in den Familien läuft.“ Zu viele psychosomatische Erkrankungen hat er behandelt, um sich da beirren zu lassen.
Wenn die Seele leidet
„Das Wort Mobbing war damals noch nicht in Umlauf.“ Aber der Tatbestand sehr wohl. Betroffene trugen schmerzverzerrt ihr Zwölffingerdarmgeschwür zum Arzt. Oder Herzschmerzen. Natürlich werden heute sündteure Spezialuntersuchungen angeordnet. Aber „a ordentliches Gespräch“ würde oft schon Licht ins Dunkel bringen.
Paul Gmeiner wollte immer Praktiker werden, obwohl er sechs Jahre in Spitälern gearbeitet hat. Und er wollte kooperieren. Die fünf Harder Ärzte haben sich vor ihren Kollegen in anderen Gemeinden die Nachtdienste aufgeteilt. Der Harder Sozialsprengel brachte die nötige Vernetzung bestehender Dienste zuwege. Gmeiners Konzept der Vorsorge-Hausbesuche bei älteren Menschen hat landesweit Schule gemacht.
„2003 haben wir damit angefangen. Sobald Harder 70 Jahre alt werden, schreiben wir sie an.“ Auf Wunsch kommt dann eine diplomierte Krankenschwester vorbei, schaut sich das soziale Umfeld an, berät beim Pflegegeld, entdeckt Stolperfallen im Haushalt . . . „Im ersten Jahr haben sich 18 Prozent der angeschriebenen Senioren zurückgemeldet.“ Jährlich werden es mehr. Mit Unterstützung des Landes haben inzwischen sieben Gemeinden einen ähnlichen Service aufgezogen. Viele Ideen zogen Kreise. Vorarlbergs vermutlich ältestes Brockenhaus geht auf die Initiative des Harder Sozialsprengels zurück, die Jugendarbeit wurde mit zwei Jugendzentren professionalisiert. Selbsthilfegruppen wie die anonymen Alkoholiker sind beinah so alt wie der Sozialsprengel selber.
Ein Weinberg in Slowenien
Im Grunde genommen könnte sich Paul Gmeiner zurücklehnen. Ein wenig tut er das auch. So wandelt sich die Praxis zum privaten Rückzugsraum mit Blick in einen herrlichen Garten. Neben den medizinischen Fachbüchern steht jetzt Goethe im Regal. In der slowenischen Heimat seiner Frau Paula hat sich Paul Gmeiner einen kleinen Weinberg gekauft, der 300 bis 400 Liter Weißwein an Ertrag verspricht. Die Weinbruderschaft, der er angehört, wird er demnächst über die steirische Grenze in neu zu erkundende Gefilde führen.
Und doch ist er als Arzt nicht gänzlich in Pension gegangen. „Das kann man gar nicht.“ Menschen fragen ihn weiterhin um Rat. Oder sie bitten ihn, die Briefe, die sie nach Krankenhausaufenthalten mitbekommen haben, zu übersetzen. „Am Anfang, beim Einkaufen war das ganz dramatisch.“ Da kam er keine fünf Meter weit. Inzwischen hat sich’s eingependelt.
Man kann nicht Medizin betreiben, ohne das Umfeld zu sehen.
Paul Gmeiner
Zur Person
Paul Gmeiner
stand vor 30 Jahren an der Wiege des Harder Sozialsprengels.
Geboren: 26. Februar 1944
Ausbildung: Medizinstudium in Wien
Laufbahn: sechs Jahre in Spitälern in Vorarlberg und der Schweiz, seit 1981 praktischer Arzt in Hard, lange Jahre in der Leitung des Arbeitskreises für Vorsorge und Sozialmedizin, Mitgründer des Sozialasprengel Hard
Familie: verheiratet, zwei Kinder