Mit Roma-Familie gelebt

Karin Kaufmann beherbergte eine Roma-Familie. Sie bereut es nicht. „Ich würde alle wieder einquartieren.“
Wolfurt. (VN-kum) Heute lebt die neunköpfige Roma-Familie, die Karin Kaufmann im Oktober 2015 bei sich aufgenommen hat, wieder dort, wo sie früher gelebt hat: in einem Kuhstall in Rumänien. Mit Betteln bringt sich die Familie durch. Ihrem Schicksal steht Kaufmann nicht gleichgültig gegenüber. „Schließlich waren wir ja einmal eine Familie.“ Jeden Tag steht die 39-Jährige über WhatsApp in Kontakt mit ihnen.
„Säugling darf nicht erfrieren“
Zehn Monate lebten die neun Roma bei Kaufmann und derem Sohn (11) in der 110 Quadratmeter großen Wohnung in Dornbirn. Und das kam so: Die Geschäftsführerin einer Selbsthilfeorganisation für Betroffene von sexualisierter Gewalt konnte von ihrer Wohnung aus sehen, dass sich eine Gruppe von bettelnden Notreisenden immer wieder im Stadtpark – also quasi vor ihrer Haustüre – traf. Ihr stach vor allem eine hochschwangere Frau ins Auge. Kaufmann sann darüber nach, was aus dem Baby wird, wenn es auf der Welt ist. Das gipfelte darin, dass sie an einem bitterkalten Oktobertag die frischgebackene Mutter ansprach. Diese öffnete ihr Tuch und zeigte ihr das Bündel Mensch. „Ich wollte nicht, dass dieses kleine Mädchen vor meiner Haustür erfriert. Deshalb habe ich sie in meine Wohnung gebeten.“
Kaufmann, die zuvor bereits überlegt hatte, ob sie einen Flüchtling bei sich aufnehmen soll, wollte den Roma für ein paar Tage ein Dach über dem Kopf geben. „Ich habe mich dann nach einer Unterkunft für die Familie umgesehen. Aber niemand wollte ihnen eine geben.“ Die Alleinerzieherin brachte es nicht übers Herz, die Familie vor die Tür zu setzen. Rückblickend ist sie auch froh darüber. Denn: „In diesen zehn Monaten wurden wir zu einer richtigen Familie.“ Das Zusammenleben war herzlich und von gegenseitigem Nehmen und Geben geprägt. Die Roma-Frauen kümmerten sich um den Haushalt. Kaufmann wiederum erledigte administrative Dinge. Sie sorgte dafür, dass die Kinder eingeschult wurden und der Vater einen Job bekam. „Diese Menschen sind sehr solidarisch und dankbar“, beschreibt die 39-Jährige ihre ehemaligen Schützlinge. „Wenn ich morgen obdachlos wäre, würden sie für mich Essen organisieren.“ Ihre Mitbewohner genossen den für sie ungewohnten Komfort. „Sie liebten es zu duschen.“ Als Kaufmann mit ihrem Sohn in eine kleinere Wohnung zog, überließ sie ihre alte Mietwohnung den Notreisenden. „Ich schaute oft bei ihnen vorbei und vergewisserte mich, ob sie den Alltag bewältigen. Sie sind ja Analphabeten.“ Im Mai verloren die Roma ihr Heim in Dornbirn, weil sie mit der Miete im Rückstand waren. Laut Kaufmann war die Mutter in Rumänien krank geworden und hatte Geld für eine OP benötigt.
Viele verstanden Kaufmann nicht, als sie die Notreisenden bei sich einziehen ließ. Selbst Freunde schüttelten den Kopf. Aber sie selbst fand nichts dabei. „Bei mir haben immer schon viele Leute gewohnt. Ich bin ein Gruppenmensch.“ Bereits als junge Frau kümmerte sie sich um andere. Sie übernahm die Obsorge für ihren jüngeren Bruder, der sieben Jahre bei ihr wohnte. Auch ihre jüngere Schwester nahm sie für zwei Jahre auf, als diese in einer Notsituation war. Außerdem beherbergte sie einmal eine Klientin der von ihr gegründeten Selbsthilfeorganisation „Schmetterlinge“.
Wenn ich obdachlos wäre, würden sie für mich Essen organisieren.
Karin Kaufmann

Zur Person
Karin Kaufmann
lebte zehn Monate mit einer neunköpfigen Roma-Familie zusammen. Ihr Resümee ist positiv.
Geboren: 17. Dezember 1977
Wohnort: Wolfurt
Familie: zwei Söhne
Hobbys: Musik und Menschen