Kurzbesuch im Jenseits

Der Schweizer Wissenschafter Stefan Nadile sucht Menschen mit Nahtoderfahrung.
SCHWARZACH, BERN. „Ich war irgendwo zwischen dem Hier und dem Jenseits. Es war Licht da und Wärme.“ Einer Tropenerkrankung zufolge war die Schauspielerin Veronika Ferres (48) vor 14 Jahren für mehrere Tage ins Koma gefallen. Während dieser Zeit habe sie die beschriebene Nahtoderfahrung gehabt. Der Popstar George Michael (50) hatte eine, als er mit schwerer Lungenentzündung tagelang im Koma lag. Niki Laudas Nahtoderlebnis bei seinem Feuerunfall auf dem Nürburgring 1976 wiederholte sich, als er einmal einen Joint geraucht hatte: „Seitdem rühre ich nie wieder Drogen an.“
„Für einen Augenblick trat ich aus meinem Körper her-aus“, schilderte Roy Horn sein Nahtoderlebnis, das ihm widerfahren war, als er nach dem Unfall mit dem Tiger auf dem Operationstisch lag. „Ich hatte ein gleißendes weißes Licht vor Augen. Dann habe ich alle meine geliebten Tiere gesehen.“ Seine Ärzte bestätigten, Roy habe einen eine Minute dauernden Herzstillstand erlitten.
Von einer geplatzten Arterie mit inneren Blutungen und einem Kurzaufenthalt im Jenseits erzählt Sharon Stone. Sie sei auf ein weißes Licht zugeflogen, „und ich sah Freunde, die schon gestorben waren“.
Thema für die Wissenschaft
Mehr und mehr Menschen, die knapp dem Tod entronnen sind, berichten von Nahtoderfahrungen. Das Ablegen des Körpers wie ein Kleidungsstück, der Tunnel, unbeschreibliches Licht, Begegnung von verstorbenen Angehörigen, die als schmerzlich empfundene Rückkehr ins Leben – weltweit wird ähnlich Erlebtes geschildert. Längst hat dieses einst der Esoterikszene vorbehaltene Phänomen Einzug in die Wissenschaft gehalten. Forscher aus aller Welt setzen sich damit auseinander.
Halluzinationen?
Als derzeit berühmtester Nahtod-Forscher gilt der niederländische Kardiologe Pim van Lommel. Er ist der Überzeugung, dass das Bewusstsein bereits vor der Geburt eines Menschen existiert und auch nach seinem Tod fortbesteht. Andere Forscher hingegen – Physiker und Ärzte – erklären Nahtod-Zustände als Halluzinationen etwa in Folge von Sauerstoffmangel im Gehirn oder der Ausschüttung von Stresshormonen in Extremsituationen.
Der Schweizer Sozial- und Religionswissenschafter Stefan Nadile von der Universität Bern hat sich der Forschung auf diesem Gebiet verschrieben: „Die medizintechnische Entwicklung macht natürlich immer anspruchsvollere Messungen möglich, aber auch aufgrund der zunehmenden Thematisierung in der Öffentlichkeit rückt das Thema jetzt mehr ins Zentrum.“ Man sage ja auch, dass der Tod die einzige Gewissheit im Leben ist – und somit auch jeden Menschen betreffen wird. „Und wenn Betroffene, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben, dieser Grenze zum Tod scheinbar näher gekommen sind und darüber erzählen können – und das auch messbar wäre –, käme man diesem Mysterium auf die Spur“, merkt Nadile an. Das wäre natürlich sehr reizvoll.
Am spannendsten findet der Forscher jedoch die Schilderungen der Betroffenen, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben, und wie sie damit umgehen. „Diese sozialen Aspekte wurden meines Erachtens in der Forschung noch nicht ausführlich untersucht.“ Darum sucht er Menschen, die ein Nahtoderlebnis erfahren haben und ihm davon erzählen möchten. „Ob die Erfahrung nun ein Hinweis darauf ist, ob es ein Jenseits gibt oder nicht, oder ob nur eine biochemische Reaktion im Hirn stattfindet, möchte ich weder dementieren noch unterstützen, da diese Fragen für meine Studie gar nicht relevant sind“, betont Nadile.
Als Spinner abgestempelt
„Im Zentrum meiner Studien steht der Mensch, der eine Nahtoderfahrung gemacht hat – und vor allem seine Schilderung davon.“ Primär wichtig findet er es, dass Betroffene mit ihrer Erfahrung unbedingt ernst genommen werden müssen. „Viel zu oft werden solche Menschen als Spinner abgestempelt oder in anderer Weise schubladisiert.“ Ihn interessiere, wie das Nahtoderlebnis von Betroffenen und ihrem Umfeld wahrgenommen wird und ob damit religiöse Auslegungen oder Lebenswendungen verbunden sind.
Die Studie führt Nadile im Rahmen seiner Dissertation am Institute of Advanced Study in the Humanities and the Social Sciences IASH der Uni Bern durch. Vorarlberger können ihre Erfahrungen auf www.nahtod.ch/betroffene-berichten ins Forum stellen und sich mit anderen Betroffenen austauschen.
Weiter Infos im Internetunter:
www.nahtod.ch