Steigen und fallen

Wissen / 29.05.2020 • 13:06 Uhr
Ein Kutschenwagen mit mehreren Personen wird am Abend bei Ebbe durch das Wattenmeer gezogen. APA
Ein Kutschenwagen mit mehreren Personen wird am Abend bei Ebbe durch das Wattenmeer gezogen. APA

Warum es zweimal am Tag Flut gibt.

Schwarzach Der Einfluss des Mondes auf das Leben ist unübersehbar, wenigstens in den Medien. Wer sie konsumiert, der weiß in welchem Zeichen der Mond stehen muss, er sich die Haare schneiden lassen, etwas anpflanzen, Bauholz fällen will. Der offensichtlichste Einfluss des Mondes sind die Gezeiten, Ebbe und Flut. Dass dieses Fallen und Steigen des Wassers etwas mit dem Mond zu tun haben muss, wussten schon die alten Griechen – aber was genau, das wussten sie nicht. Der Mond lässt das Wasser steigen … noch heute liest man oft: „Der Mond zieht die Wassermassen der Erde an“ oder etwas Ähnliches; wunderschönes Bild, das mondbeglänzte Meer hebt sich dem Nachtgestirn entgegen, die Flut steigt … und das Wasser fehlt auf der anderen Seite der Erde, und das ist dann Ebbe?

Zwei Flutberge

Das schöne Bild hat nur einen Fehler: Es gibt zwei Flutberge, im Lauf eines Tages hebt und senkt sich der Meeresspiegel zweimal. Wie das? Auch Johannes Kepler, der als erster die Bahnen der Planeten erklärte, konnte nur einen Flutberg ableiten, Isaac Newton, Entdecker des Gravitationsgesetzes, endlich alle beide, allerdings waren beide nach seiner Berechnung viel zu schwach.

Die Sache ist komplizierter als sie auf den ersten Blick aussieht. Die erste sachgerechte Beschreibung stammt vom Engländer Thomas Young aus dem Jahr 1823. Das Wasser steigt nicht, sondern es steht auf der mondzugewandten Seite einfach dauernd höher als an den Seiten. Der eine Flutberg steht unter dem Mond, der andere gegenüber auf der anderen Seite der Erde; an den Seiten gibt es entsprechend zwei Täler, dort steht das Wasser niedriger, dort herrscht Ebbe. Das Kommen und Gehen des Wassers entsteht nur durch die Erdrotation – die Erde dreht sich unter dem Flutberg weg – und durch die Bewegung des Mondes um die Erde. Beide Bewegungen überlagern sich, deshalb ist nicht genau alle 12 Stunden Flut, sondern alle 12 Stunden und 25 Minuten.

Der Mond übt durch seine Gravitation auf andere Massen eine Kraft aus, die führt zu einer Beschleunigung, die ist, je nach Entfernung, unterschiedlich stark; die Wassermassen auf der Erdoberfläche beschleunigt er stärker oder schwächer als die Erde selber. Dadurch wird die Erdanziehung an der Erdoberfläche genau unter dem Mond und genau gegenüber auf der anderen Seite der Erde um einen kleinen Betrag verringert.

Die Erde, die sich unter dem Wasserberg hinwegdreht, wird dadurch dauernd abgebremst – Rotationsenergie in Reibungswärme umgewandelt. Dadurch ist der Tag in den letzten 1000 Jahren um 16 Tausendtsel Sekunden länger geworden. Das führt wiederum dazu, dass der Abstand Erde – Mond jedes Jahr um knapp vier Zentimeter zunimmt, und der Mond uns schon seit langem immer dieselbe Seite zuwendet.